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Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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selbst rätselhaften Ausflug nach Hearst Castle mitzunehmen. Die Gesichter meiner Zuhörer wurden immer interessierter. Der Polizist, der die Befragung leitete, unterbrach mich nun oft, hakte nach, wollte Fakten hören, den Namen des Motels, die Zeitpunkte der Telefonate, die Tankstellen, an denen wir angehalten hatten. Ich wusste das alles noch recht genau. Es war ja nur wenige Tage her.
    Schließlich ging es um Montagnacht. Wann ich wo gewesen sei? Wie lange? Was ich beobachtet hatte? Auch dies schilderte ich wahrheitsgemäß und detailgetreu, bis zum Zeitpunkt, da das Fenster explodiert war. Ich berichtete von Janines Anruf, von meiner erfolglosen Suche nach ihr bis zu dem Telefongespräch mit Marian,
    Der Protokollant schrieb noch, als ich geendet hatte. Mein Blick wanderte zu Billings, der mich freundlich anschaute und mir aufmunternd zunickte, was ich nicht recht deuten konnte. War er zufrieden? Beruhigt? Oder nickte er mir zu wie jemandem, dem nicht zu helfen war?
    »Wann haben Sie David das letzte Mal gesehen?«
    »Am Sonntagnachmittag. Er hat mich gegen fünf Uhr auf dem Campus abgesetzt.«
    »Erinnern Sie sich, worüber Sie zuletzt gesprochen haben?«
    »Wir sprachen über Kleist.«
    »Wer ist das? Ein Mitstudent von Ihnen?«
    Unter normalen Umständen hätte ich sicherlich lachen müssen.
    »Nein. Heinrich von Kleist ist ein deutscher Dichter der romantischen Periode.«
    »Worüber hat dieser Dichter geschrieben?«
    »Über Missverständnisse. Die meisten seiner Dramen und Novellen handeln von der Unmöglichkeit, sich zu verständigen. Kleist ist das Thema des Seminars, das ich bei Miss Candall-Carruthers besuche«, ergänzte ich. »David sollte ursprünglich auch in diesem Seminar sitzen. Daher lag das Thema nah.«
    »Und Ihre Beziehung zu Miss Uccino? War das kein naheliegendes Thema?«
    »Doch. Aber wir sprachen nicht darüber. Nach dem Telefonat auf der Hinfahrt haben wir nicht mehr über sie gesprochen.«
    »Fanden Sie das nicht seltsam?«
    »Der ganze Ausflug war seltsam. Ich weiß nicht, warum David mich eingeladen hat. Ich vermute, er war neugierig auf mich. Eine andere Erklärung habe ich nicht.«
    »War er aggressiv? Machte er Ihnen Vorwürfe?«
    »Nein. Aber er wirkte bedrückt. Das schon. Soweit man das bei jemandem beurteilen kann, den man kaum kennt. Er hat mir erzählt, dass er sich isoliert fühle, was mich nicht wunderte.«
    »Warum?«
    »Sein Vortrag hat viele Leute vor den Kopf gestoßen.«
    »Und haben Sie ihn nicht gefragt, warum er ihn dann gehalten hat?«
    »Sicher. Wir haben darüber gesprochen.«
    »Und? Was hat er dazu gesagt?«
    »David äußerste sich kritisch über De Vanders Theorie.«
    »Was heißt kritisch?«
    »Soweit ich ihn verstanden habe, betrachtete er sie als erledigt.«
    Blicke gingen hin und her. Was wollte der Mann nur? Sollte ich ihm vielleicht die neue ästhetische Theorie erklären? Mr. Delaney hob die Hand und kam mir zu Hilfe.
    »Sir, ich glaube, diese Zusammenhänge kann ich Ihnen nachher besser erklären. Mr. Theiss ist erst seit zwei Wochen Student von Miss Candall-Carruthers. Er kann zu diesen Fragen unmöglich Stellung nehmen.«
    Der Polizist schien nicht sehr zufrieden, fügte sich jedoch und kam noch einmal auf meine Schilderung des Montagabends zu sprechen.
    »Sie haben Mr. Lavell also nicht in Miss Uccinos Apartment gesehen, sondern lediglich seinen Wagen, der vor dem Gebäude auf dem Parkplatz stand.«
    »Ja.«
    »Aber Sie sind sich sicher, dass er bei ihr war?«
    »Nein. Aber ich nehme es stark an. Warum hätte der Wagen sonst dort stehen sollen?«
    »Um welche Uhrzeit genau waren Sie das erste Mal dort?«
    »Ich war den ganzen Tag immer wieder dort. Aber sein Auto stand erst am Abend da. Das war irgendwann gegen acht.«
    »Dann sind Sie in die Bibliothek gegangen und haben mit Miss Uccino telefoniert?«
    »Ja.«
    »Hat sie gesagt, dass David bei ihr war?«
    »Nein. Sie hat nur gesagt, sie könne jetzt nicht mit mir sprechen und werde mich am nächsten Morgen anrufen.«
    »Hat sie erklärt, warum?«
    »Nein. Sie hat gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen, und hat aufgelegt.«
    »Und danach sind Sie mit Ihrem Bekannten essen gegangen.«
    »Ja.«
    Er ging alles minutiös noch einmal durch, obwohl ich es zuvor schon ausführlich geschildert hatte. Warum nur?
    »Ihren letzten Versuch, sie zu sprechen, starteten Sie also gegen halb zwölf?«
    »Ja. Ich habe zuerst Zigaretten gekauft. Dann bin ich noch einmal zu ihrem Haus gegangen, um zu schauen, ob

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