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Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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verschwand auf der Rückbank. Ich bog nach rechts ab und lief die Böschung zu der Stelle hinunter, wo die Ausfahrt des Parkplatzes auf den Straßenzubringer mündete. Dort blieb ich stehen und wartete. Sie saß hinten, auf der Beifahrerseite. Sie schaute mich nicht an. Lediglich ihre Mutter fixierte mich kurz. Es dauerte nur Sekunden. Janines Gesichtsausdruck war völlig starr. Sie nahm mich gar nicht wahr. Ihre Mutter drehte sich noch einmal nach mir um. An der Kreuzung bogen sie nach rechts ab, stoppten, wendeten und wählten die andere Campusumfahrung, die nicht an der Bibliothek vorbeiführte. Dann waren sie außer Sichtweite.
    Ich kehrte in mein Studio zurück und verbrachte den Nachmittag in fast völliger Untätigkeit. Ich konnte nichts essen. Ein stechender Kopfschmerz plagte mich. Immer wieder versuchte ich, zu arbeiten, an das anzuknüpfen, was ich begonnen hatte. Aber meine Gedanken gehorchten mir nicht. Nachts wachte ich immer wieder auf, lag stundenlang wach, starrte in die Dunkelheit und lauschte den Zikaden. Ich würde ebenfalls abbrechen, beschloss ich. Ich würde nach Hause fahren. Morgen war der Empfang bei Marian. Sollte ich überhaupt noch dort hingehen? Was sollte ich bei diesen Leuten?
    Ich ging nur deshalb hin, weil ich das Alleinsein nicht mehr ertrug. Der Campus war wie ausgestorben. An der Bibliothek sah man noch Reste von Absperrband und im Gras die Reifenspuren der schweren Löschfahrzeuge. Aushänge an den Fenstern gaben Auskunft, dass der vordere Teil des Gebäudes ab Montag wieder geöffnet sein würde.
    Marian wohnte auch auf dem Faculty Hill, in der gleichen Straße wie Ruth Angerston. Neil Carruthers öffnete mir. Er versuchte zu lächeln, als er mich begrüßte, obwohl ihm sichtlich nicht danach zumute war. Er drückte mir die Hand und bat mich herein.
    Wenn man direkt vor ihm stand, sah er eigentlich sympathisch aus und nicht so grimmig, wie er während Davids Vortrag auf mich gewirkt hatte. Er hatte lebendige, blaue Augen, war bestimmt über einsneunzig groß, hatte eine hohe Stirn und ausgeprägte Wangenknochen. Seine Stimme war auffallend leise. Weiter kam ich nicht mit meinen Beobachtungen, weil Marian hinter ihm erschien.
    »Hallo Matthew. Kommen Sie herein.«
    Ich folgte den beiden ins Wohnzimmer. Die anderen waren schon da. Jacques und Tom saßen auf der Kamineinfassung, jeder eine Dose Coors-Bier in der Hand. Sie nickten mir stumm zu. Parisa und Julie hatten auf einer Cordsamtcouch Platz genommen, die vor dem Fenster stand. Parisa fixierte einen Punkt einige Zentimeter unter meinem Kinn und murmelte eine Begrüßung, während Julie wie immer zu einem freundlichen Hi ein gewinnendes Lächeln anbot. Mark Han-son fehlte, wobei schon im nächsten Augenblick das Geräusch einer Wasserspülung über seinen Verbleib Auskunft gab. Eine Minute später kam er hinter mir ins Zimmer herein, schlug mir kumpelhaft auf die Schulter und sagte auf Deutsch: »Guten Tag, Herr Kollege.«
    Die Situation war ein wenig steif. Niemand schien so recht zu wissen, was er sagen sollte, wobei ich nicht den Eindruck hatte, dass das vor meinem Eintreffen anders gewesen war.
    »Neil, holst du Matthew bitte etwas zu trinken«, sagte Marian. »Was möchten Sie? Ein Bier wie die beiden da oder lieber etwas anderes?«
    »Am liebsten einen Kaffee«, sagte ich.
    Neil Carruthers verschwand, ich setzte mich auf einen Stuhl, den Marian mir anbot, und blickte ein wenig befangen von einem zum andern.
    »Also«, begann Marian, »wir sind vollzählig. Das heißt, wir sind fast vollzählig, oder?« Sie schaute uns an. »Jeder von Ihnen denkt in diesem Augenblick an David, nicht wahr? Mir geht es so, und Ihnen natürlich auch.«
    Niemand antwortete. In der Küche hörte man Geschirr klappern.
    »Seine Abwesenheit ist schwer zu ertragen. Vor allem für mich. Ich bin traurig. Traurig und wütend. Traurig über die letzten Wochen und wütend über seine sinnlose Tat.«
    Was für ein Verhältnis hatten sie alle zu David gehabt? Tom etwa, der sehr gefasst wirkte. Oder Julie, am anderen Ende des Spektrums, mit ihren ängstlichen Augen. Mark hatte die Lippen aufeinander gepresst. Und Jacques? Sogar jetzt stand ihm der Hochmut ins Gesicht geschrieben. Seine linke Augenbraue hatte sich bei Marians letztem Satz hochgebogen.
    »Ich finde es toll, dass Sie uns eingeladen haben«, sagte Parisa. »Ich sitze seit Tagen nur noch herum und kann mich auf nichts konzentrieren.«
    »Das geht mir ähnlich«, ließ sich Tom vernehmen.
    Ich

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