Der gestohlene Traum
Jahren angeworben, noch vor dem Antritt des Militärdienstes, damit die Jahre in der Armee nicht umsonst verstrichen. Der Kandidat musste in der Armee alles lernen, was man dort lernen könnte, denn militärische Ausbildung konnte im Polizeidienst niemals schaden. Gewöhnlich wurden junge Männer angeworben, die bei der Einberufung alte, schlecht versorgte Eltern zurückließen, schwangere Freundinnen oder junge Ehefrauen mit Kindern. Man versprach ihnen, in den zwei Jahren ihrer Abwesenheit für ihre Familie zu sorgen und sie finanziell zu unterstützen. Dafür musste der Kandidat gewissenhaft dienen, seine Muskeln trainieren, nach Kräften militärische Weisheit anstreben und sich Auszeichnungen erwerben. Nach der Armee musste er die Polizeihochschule besuchen und sich zu Gehorsam gegenüber Arsenn und seinen Leuten verpflichten. Dabei legte Arsenn großen Wert auf Freiwilligkeit, da er der Meinung war, dass man sich nur auf überzeugte Anhänger und Verbündete verlassen konnte. Wenn einer der Angeworbenen, dessen Familie zwei Jahre lang nicht gerade schlecht auf Kosten des Kontors gelebt hatte, nach dem Armeedienst keinen Kontakt mehr aufnahm, verbot Arsenn seinen Leuten kategorisch, ihn zu suchen und etwas zu erzwingen. Wenn er sich nicht mehr meldete, hatte er es sich anders überlegt. Und wenn er es sich anders überlegt hatte, war er nicht überzeugt. Und wenn er nicht überzeugt war, dann konnte er jederzeit zum Betrüger oder Verräter werden. Sicher, das Geld war verloren, aber das erschien Arsenn nicht so wichtig. Zum Teufel mit dem Geld, sagte er sich, Geld macht nicht glücklich, und jedes Geschäft ist mit Unkosten verbunden. Zumal es sich um Summen handelte, die Arsenn leicht verschmerzen konnte. Und er wusste, dass er sich auf diejenigen, die nach Ablauf ihrer Armeezeit von selbst wieder Kontakt zum Kontor aufgenommen hatten, felsenfest verlassen konnte. Sie hatten sofort mit dem Studium an der Polizeihochschule begonnen, einige hatten bereits den Abschluss gemacht und arbeiteten jetzt bei den Moskauer Behörden für Inneres. Qualifizierte, bestens ausgebildete Fachleute mit glänzenden Zeugnissen, die über handfestes Wissen und eiserne Muskeln verfügten und ihren offiziellen Dienst spielend mit der Arbeit für das Kontor vereinbaren konnten.
Darüber hinaus gab es unter Arsenns Leuten einige Auserwählte. Das waren solche, die man nicht erst kurz vor der Einberufung zur Armee angeworben hatte, sondern schon lange vorher. Halbwüchsige, die noch zur Schule gingen und gerade die ersten Erfahrungen mit Alkohol und Mädchen machten. Diese Halbwüchsigen lockte man mit der Romantik ihrer zukünftigen Aufgabe. Sie waren ausersehen zum Kampf gegen eine ungerechte Gesellschaftsordnung, gegen ein borniertes, brutales System, sie würden die Überlegenen sein und, hinter den Kulissen agierend, fremde Geschicke manipulieren, die Handlungen und Gedanken anderer Menschen beeinflussen. Man suchte diese Auserwählten ausschließlich unter den Waisen, die in Kinderheimen lebten und adoptiert wurden, wenn nötig gegen Zahlung horrender Bestechungsgelder. Sie wurden höchst sorgsam und umfassend auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereitet und hatten eine glänzende Karriere vor sich.
Einer von diesen Auserwählten war Oleg Mestscherinow, der gerade sein Praktikum bei der Petrowka 38 absolvierte, in der von Oberst Gordejew geleiteten Abteilung. Von ihm stammte auch die ebenso einfache wie wirksame Idee, Nadja Larzewa zu entführen. Er hatte oft genug die Telefongespräche mit angehört, die Larzew mit seiner Tochter führte, und machte sich eine ziemlich genaue Vorstellung sowohl von dem Charakter des Mädchens als auch von den Verhaltensregeln, die der Vater ihm ständig einbläute. Die wichtigste Voraussetzung für die geplante Aktion bestand darin, kein Aufsehen zu erregen, damit niemand auf den Gedanken kam, dass vor aller Augen ein Kind entführt wurde. Man musste Nadja Angst einjagen und sie in die Arme eines Menschen treiben, von dem sie Hilfe erwartete. Es war nur eine Frage der Technik und Regie, eine solche Person zu finden und sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort einzusetzen. Auch die Barbiepuppe war Olegs Idee. Es war nicht anzunehmen, dass Nadja sich mit Automarken auskannte, ihr würde gar nicht auffallen, dass sie einen ganzen Tag lang von ein und demselben Wagen verfolgt wurde, wahrscheinlich nicht einmal dann, wenn es sich um das seltenste und teuerste ausländische Fabrikat handeln würde. Aber
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