Der gestohlene Traum
dem Moment, in dem die automatischen Türen des Zuges sich öffneten. Er begab sich ins Innere des warmen Wagens, setzte sich in eine Ecke, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen.
* * *
Oberst Gordejew sah sich die Informationen an, die Oleg Mestscherinow nach einem Besuch bei Nikifortschuks Witwe mitgebracht hatte. Gestern, am 29. Dezember, hatte Viktor Alexejewitsch erfahren, dass Gradow an dem Vorfall in Tamara Jereminas Wohnung beteiligt gewesen war. Unglücklicherweise konnte der Untersuchungsführer Smeljakow sich nicht mehr erinnern, an welchem Institut die beiden jungen Leute, deren Namen man aus den Akten gestrichen hatte, damals studierten. Bis Nastja Gradow gefunden, bis man Daten über ihn gesammelt und herauszufinden versucht hatte, wo er studiert hatte, bis man seinen Kommilitonen Nikifortschuk ausfindig machen konnte, war nicht wenig Zeit verstrichen. In der gewöhnlichen Zeitrechnung handelte es sich nur um einige Stunden, aber diese Stunden hatten sich als Ewigkeit erwiesen, als Abgrund, den Oberst Gordejew nicht mehr überspringen konnte. Als er die zwei Jahre alten Unterlagen über Nikifortschuks Tod endlich vor sich hatte, war Nastja bereits in ihrer Wohnung gefangen, und er konnte sie nicht mehr anrufen. Das war äußerst bedauerlich, da Gordejew in diesen Unterlagen auf eine sehr wichtige Einzelheit gestoßen war. Damals, vor zwei Jahren, wurde Nikifortschuks Tod als Unglücksfall eingestuft. Es gab schließlich genug Alkoholiker, die trotz des Antidots zum Alkohol, das man ihnen einsetzte, das Trinken nicht lassen konnten und daran starben. Die Kriminalbeamten hatten sorgfältig ermittelt, konnten aber nicht feststellen, dass der dem Alkohol verfallene Übersetzer Feinde gehabt hatte. Aber von heute aus gesehen, nach allem, was in den letzten zwei Monaten geschehen war, erschien Arkadijs Tod in einem ganz neuen Licht.
Deshalb hatte Gordejew am gestrigen Tag Mestscherinow zu der Witwe des Verstorbenen geschickt.
Viktor Alexejewitsch konnte nicht wissen, dass Oleg sofort Arsenn angerufen und ihn informiert hatte.
»Sprich mit der Frau«, befahl Arsenn, »aber bevor du Gordejew von dem Gespräch berichtest, setz dich mit mir in Verbindung, damit ich dich instruieren kann.«
Am Abend hatte Mestscherinow die Frau nicht angetroffen, sie arbeitete als Kellnerin und kam nicht vor halb zwei Uhr nachts nach Hause. An ihrem Arbeitsplatz wollte der Praktikant sie in dieser heiklen Angelegenheit nicht aufsuchen. Er ging am nächsten Morgen zu ihr, fand alles heraus, was er wissen wollte, und erstattete Arsenn ausführlich Bericht. Zu diesem Zeitpunkt wusste Arsenn bereits, dass Gordejew die Kamenskaja angerufen und sich bei ihr über den massiven internen Druck von oben beschwert hatte. Das, was Mestscherinow über Nikifortschuks Tod in Erfahrung gebracht hatte, bestärkte Arsenn nur in seiner Entscheidung, mit Gradow zu brechen und ihm die Regelung seiner Angelegenheit selbst zu überlassen.
»Was für ein ausgekochter Schurke er doch ist, unser Sergej Alexandrowitsch«, stellte er sarkastisch fest, während er den präzisen Bericht des Praktikanten anhörte. Er hatte nicht nur den lange zurückliegenden Mord an Lutschnikow vertuscht, sondern auch die Geschichte mit seinem Komplizen. Er schien den alten Arsenn für einen kompletten Dummkopf zu halten. Der Leiter des Kontors war daran gewöhnt, dass Leute, die sich an ihn wandten, ihm uneingeschränkt vertrauten, so wie Kranke einem Arzt. Würde es einem normalen Menschen denn in den Sinn kommen, dem Arzt die Hälfte seiner Symptome zu verschweigen und dann Heilung von ihm zu erwarten? Wenn Gradow so einfache Dinge nicht verstand, dann durfte er seine Hoffnungen auch nicht auf das Kontor und Arsenn setzen.
»Du kannst deinem Chef alles so berichten, wie es tatsächlich ist«, erlaubte er Oleg gnädig.
Nikifortschuks Witwe hatte berichtet, dass ihr Mann einen Monat vor seinem Tod noch stärker zu trinken angefangen und nachts oft irgendeinen Sergej angerufen hatte, er hatte geweint und immer wieder von irgendeiner Vika gesprochen. Wer dieser Sergej und diese Vika waren, wusste die Frau nicht, und sie hatte es auch für sinnlos gehalten, damals, vor zwei Jahren, als ihr Mann gestorben war, in einer Achtmillionenstadt nach zwei völlig Unbekannten zu suchen. Und wozu auch, da hinter Arkadijs Tod keinerlei Verbrechen zu stehen schien. Außerdem, berichtete sie, habe ihr Mann in letzter Zeit häufig ein Gespräch über Kinder angefangen.
»Was
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