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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Amen in der Kirche«, bestätigte Slawik. »Der wird uns ganz schön zur Sau machen.«
    Sie gingen zurück zum Bahnhof und fanden im Ort eine Post, von der aus man in Moskau anrufen konnte.
    Onkel Kolja war höchst unzufrieden, aber er verschwendete keine Zeit für Standpauken. Die beiden hatten zwar Arsenn verloren, aber dafür hatten sie irgendwelche anderen Leute entdeckt. Das war gut. Was hatte Arsenn doch gleich gesagt? Dass er, Fistin, sich im Ernstfall sofort in die Hosen machen würde? Jetzt würde er die Quittung dafür bekommen. Natürlich wollte Fistin dem bösartigen, gefährlichen Alten die Beleidigung heimzahlen, aber das war jetzt nicht das Wichtigste. Vor allem wollte er Arsenn beweisen, dass er, Fistin, etwas gegen ihn in der Hand hatte, dass er gar nicht so dumm und einfach gestrickt war, wie es schien. Vor allem musste er diese alte Stinkmorchel dazu zwingen, den Vertrag mit dem Chef zu erfüllen. Er musste den Chef retten und seine eigene Position bei ihm festigen. Darum ging es jetzt.
    »Ihr fahrt jetzt zurück nach Moskau«, befahl er den Männern, »nehmt euch einen Wagen und noch zwei Leute. Dann kehrt ihr zurück zum Lager und schafft dort Ordnung. Hinterlasst keinen Dreck, schafft die Leichen hinaus und werft sie im Wald in einen Graben.«
    Fistin hatte in der Tat eine recht armselige Phantasie. Etwas Besseres, als Menschen zu töten und ihre Leichen in einen Graben zu werfen, fiel ihm nicht ein.
    * * *
    Natalja Jewgenjewna Dachno tropfte sich zum x-ten Mal Valocordin in ein Glas, vergaß dabei nicht, rechtzeitig aufzuschluchzen, und überlegte kaltblütig, wie sie ihren Gast in ihrer Wohnung festhalten konnte. Sie musste sich dringend mit Arsenn in Verbindung setzen, aber solange sie allein war, ohne ihren Mann und ihren Sohn, war das unmöglich. Sie musste ihren Besucher hinhalten, bis einer von beiden nach Hause kam. Leider war nicht abzusehen, wann das geschehen würde. Ihr Mann war an den Ort hinter der Stadt gefahren, wo Larzews Tochter gefangen gehalten wurde, es konnte noch lange dauern, bis er nach Hause kam. Wann ihr Sohn erscheinen würde, war erst recht unklar, vielleicht in der nächsten Minute, vielleicht auch erst irgendwann im Lauf der Nacht.
    Natalja Jewgenjewna fühlte, dass ihr die Inszenierung gelang, der unglückliche Vater glaubte ihr. Sie verfügte über eine außerordentliche Intuition, wie ein Tier witterte sie den Geruch von Aggressivität und Misstrauen, sodass sie Situationen sehr genau einschätzen konnte und immer wusste, wie weit sie gehen konnte, wie lange ihr Spiel funktionierte und wann der kritische Punkt erreicht war. Diese Eigenschaft schätzte Arsenn ganz besonders an ihr. Als Gott das Gespür für das richtige Maß und das vernünftige Risiko verteilt hat, müssen Sie in erster Reihe gestanden haben, sagte er oft. Und auf der Jagd haben Sie sich Ausdauer und das Gefühl für Gefahr erworben. Ich weiß, dass ich mich auf Ihr Gespür absolut verlassen kann.
    Natalja Jewgenjewna war tatsächlich in Sibirien geboren, als Tochter eines Jägers, in dieser Hinsicht hatte sie Larzew nicht angelogen. Sie war nach Moskau gekommen, um Medizin zu studieren, sie bekam das Leninstipendium und machte einen erfolgreichen Abschluss. Sie betrieb leidenschaftlich Schießsport, vertrat bei Wettkämpfen die Mannschaft ihres Instituts und ging immer als Siegerin hervor. Dem Studium folgte die Zeit als Assistenzärztin, dann die Dissertation, schließlich eine Stelle an der Poliklinik des KGB.
    Natalja Jewgenjewna hatte einen Kommilitonen geheiratet, der keine so glänzende Karriere gemacht hatte wie sie, sondern als Anästhesist in einem der städtischen Krankenhäuser arbeitete. Im Offiziersrang beim KGB verdiente Natalja sehr viel mehr als ihr Mann, der dadurch in finanzielle Abhängigkeit von ihr geriet. Leider bekam das Ehepaar keine Kinder. Natalja Jewgenjewna, die über weit reichende Beziehungen in medizinischen Kreisen verfügte, hatte alle nur denkbaren Behandlungen über sich ergehen lassen, aber nichts hatte geholfen. Ohne die Hoffnung auf die Geburt eines eigenen Kindes aufzugeben, hatte das Ehepaar Dachno schließlich einen Antrag auf Adoption gestellt, aber wegen der beengten Wohnverhältnisse, in denen das Ehepaar lebte, wurde der Antrag abgelehnt. Die Dachnos bewohnten zusammen mit dem alten Vater des Ehemannes eine Einzimmerwohnung. Sie standen zwar auf der Warteliste für eine größere Wohnung, doch es war klar, dass sie erst in frühestens zehn Jahren an

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