Der gestohlene Traum
die Reihe kommen würden.
Das Unglück ereilte Natalja Jewgenjewna am Tag vor dem Abschluss einer erneuten, sehr qualvollen Behandlung. Sie bekam den endgültigen Urteilsspruch. Sie würde niemals Kinder haben, wurde ihr mitgeteilt, alle weiteren Behandlungsversuche seien sinnlos und würden nur ihrer Gesundheit schaden.
Sie weinte die ganze Nacht, am Morgen betäubte sie sich mit Tranquilizern und schleppte sich zur Arbeit. Der Kopf schien ihr zu bersten, sie hatte Herzschmerzen, ständig schossen ihr die Tränen in die Augen, das Leben schien jeden Sinn verloren zu haben. Und da erschien der General bei ihr, ein stellvertretender Verwaltungsleiter mit einer roten Trinkernase. Er roch deutlich nach Alkohol und sprach mit dem typischen Kommandeursbass. Der arme Mann hatte Schmerzen in der Seite. Macht nichts, dachte die Dachno gereizt, du hättest einfach nicht so viel trinken dürfen. Sie verschrieb ihm ein Medikament gegen Leberbeschwerden und forderte ihn auf, in drei Tagen wiederzukommen.
Der General kam, er war etwas blasser geworden, zog aber nach wie vor eine Alkoholfahne hinter sich her. Und er starb. Direkt im Sprechzimmer der Chirurgin Dachno. Es stellte sich heraus, dass der General an einer Blinddarmentzündung gelitten hatte, die nahtlos in eine Bauchfellentzündung übergegangen war. Vier Tage lang war er mit dieser Entzündung herumgelaufen und hatte die Schmerzen mit dem berühmten Volksmittel betäubt. Im Gutachten der Ärztekommission hieß es, die Symptome der Blinddarmentzündung seien von Anfang an offensichtlich gewesen, doch die behandelnde Ärztin hätte auf die Durchführung der notwendigen Untersuchungen verzichtet und den Patienten falsch behandelt. Infolge dieser sträflichen Fahrlässigkeit sei der Patient verstorben. Die Dachno musste mit einer Gefängnisstrafe rechnen, sie fühlte bereits den tödlichen Hauch des unabwendbaren Schicksals, das ihr bevorstand. Und in diesem Moment tauchte Arsenn auf.
»Ich kann Ihnen helfen, Natalja Jewgenjewna«, sagte er mitfühlend. »Sie sind ein guter Mensch und eine ausgezeichnete Ärztin, das Schicksal hat Ihnen einfach ein Bein gestellt, und Sie sind gestolpert. Ins Gefängnis gehören Kriminelle und Banditen, aber nicht anständige Menschen wie Sie, die ins Unglück geraten sind. Stimmen Sie mir zu?«
Die Dachno nickte schweigend und trocknete sich die Tränen.
»Heute werde ich Ihnen helfen, morgen werden Sie mir helfen, abgemacht?«, fuhr Arsenn fort. »Wir beide werden gemeinsam gute, anständige Menschen vor dem Unglück retten. Wenn Sie meine Mitstreiterin werden, werden Sie eine gute Wohnung haben, und ich werde Ihnen mit der Adoption helfen. Sie werden nicht irgendein Kind mit den Genen unbekannter, womöglich trunksüchtiger Eltern bekommen, sondern das beste, gesündeste, begabteste und klügste Kind, das es nur geben kann. Das wird allerdings kein Kleinkind mehr sein, sondern ein halbwüchsiges, aber so werden wir wenigstens wissen, dass Gesundheit, Psyche und Intellekt intakt sind, während man sich bei einem Kleinkind immer täuschen kann. Außerdem werden Sie die Möglichkeit haben, Ihrer geliebten Jagd nachzugehen. Sind Sie einverstanden?«
Natürlich war sie einverstanden, wie hätte es anders sein können. Arsenn versuchte nie, eine Person anzuwerben, über die er nicht schon alles wusste. Alles, was er über Natalja Jewgenjewna Dachno in Erfahrung gebracht hatte, bestätigte ihm, dass sie genau das war, was er suchte. Sie würde seine treue Mitstreiterin werden. Und er hatte sich nicht getäuscht.
Nach dem Vorfall mit dem General durfte Natalja Jewgenjewna nicht mehr als Ärztin praktizieren. Arsenn verschaffte ihr eine Stelle in der Serviceabteilung eines Moskauer Telefonamtes. Das Gehalt war miserabel, aber Arsenn bezahlte die Dienste seiner neuen Mitarbeiterin so gut, dass sich die Wünsche der Dachnos schon bald zu erfüllen begannen. Sie konnten sich eine luxuriöse Wohnung leisten, ein Auto, teure Gewehre, schließlich kam auch eine Datscha hinzu. Es war nicht so, dass Natalja Jewgenjewna ihre Stadtwohnung nicht geliebt hätte, aber sie hielt es einfach nicht für nötig, ihren Moskauer Bekannten ihren auffälligen Wohlstand zu demonstrieren.
Dafür legten die Dachnos ihre ganze Seele in die Datscha. Und ihren Sohn erzogen sie so, wie Arsenn es wollte.
Natalja Jewgenjewna warf einen Blick auf die Uhr. Es war fast neun Uhr abends. Wie lange konnte sie den Kripobeamten noch hinhalten, ohne sein Misstrauen zu
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