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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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fragte. »Das wäre ein grober Fehler gewesen. Wissen Sie, in solchen Fällen sind wir sehr vorsichtig, wir sagen immer nur vielleicht, manchmal, es könnte sein und so weiter. Wir legen uns niemals fest. Um eine zuverlässige Diagnose zu stellen, müssen wir einen Patienten mindestens einen Monat lang beobachten, am besten stationär, und selbst dann kommt es vor, dass wir noch nichts Genaues sagen können. Kein einziger anständiger Arzt würde es sich erlauben, eine Ferndiagnose zu stellen.«
    »Ist das Ihre Unterschrift?«
    Nastja reichte Maslennikow das von Larzew angefertigte Vernehmungsprotokoll.
    »Ja. Stimmt etwas nicht?«
    »Haben Sie das Protokoll gelesen, bevor Sie es unterschrieben haben?«
    »Ehrlich gesagt, nein. Ich hatte keinen Grund, Ihrem Kollegen zu misstrauen. Worum geht es denn?«
    »Lesen Sie das Protokoll bitte durch, und sagen Sie mir, ob Sie mit allem einverstanden sind, was darin steht.«
    Maslennikow vertiefte sich in Larzews kleine, schwer leserliche Handschrift. Als er die erste Seite gelesen hatte, warf er die Blätter verärgert auf den Tisch.
    »Was soll das?«, fragte er gereizt. »Ich habe so etwas nie gesagt. Sehen Sie, was hier steht: ›Ihre Bekannte muss dringend in eine Klinik eingewiesen werden, da sie an einer akuten psychischen Erkrankung leidet.‹ In Wahrheit habe ich Kartaschow gesagt, dass seine Bekannte unbedingt einen Arzt aufsuchen soll. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie psychisch erkrankt sei, und der Arzt müsse entscheiden, ob sie behandelt werden muss. Man müsse allerdings darauf vorbereitet sein, dass der Arzt sie in eine Klinik einweisen wird, falls er eine akute psychische Erkrankung bei ihr feststellt. Bemerken Sie den Unterschied? Ihr Kollege hat alle Zweifel in meinen Aussagen weggelassen und überhaupt alles verdreht. Und hier . . . ›Eine solche Erkrankung nennen wir paranoid-schizoide Psychose‹. Woher sollte ich wissen, an welcher Erkrankung diese Frau leidet, da ich sie nie im Leben gesehen habe? Ich erinnere mich, dass ich gesagt habe, die geschilderten Symptome könnten auf eine Erkrankung dieser Art hinweisen. Nein, ich verstehe wirklich nicht, warum Ihr Kollege den Inhalt meiner Aussage so entstellt hat.«
    Maslennikow war ernsthaft verärgert. Und Nastja, die wieder einmal zum Sündenbock geworden war, auf dem jeder, dem es gerade einfiel, seinen Unmut ablud, fühlte, wie die Wut gegen Larzew in ihr hochkochte. Das hatte nichts mehr mit Eile und Ungenauigkeit zu tun, hier handelte es sich um grobe Entstellungen des Sachverhalts.
    »Lassen Sie uns Ihre Aussage noch einmal neu aufschreiben«, sagte sie begütigend. »Ich werde versuchen, alles, was Sie sagen, wortgetreu festzuhalten, und anschließend lesen Sie den Text genau durch. Womit hat alles begonnen?«
    »Im Oktober hat sich mein ehemaliger Studienkollege Valentin Kosarj an mich gewandt und mich gebeten, einem seiner Bekannten eine ärztliche Konsultation zu gewähren. Er sagte mir, Boris Kartaschow sei um den Gesundheitszustand seiner Freundin besorgt, da diese an der fixen Idee litt, jemand würde heimlich ihre Träume mit ansehen und per Rundfunk Einfluss auf sie nehmen . . .«
    Nastja schrieb eifrig mit und begriff missmutig, dass sie erneut eine Niete gezogen hatte. Sie konnte keinerlei Abweichungen in den Aussagen von Maslennikow und Kartaschow feststellen. Das änderte zwar nichts an dem Verdacht gegen den Künstler, aber das Fädchen, das sie aufzunehmen gehofft hatte, war ihr erneut aus den Fingern geglitten. O Larzew, Larzew!, dachte sie. Warum hast du dir nicht mehr Zeit für die Vernehmung der Kolobowa genommen? Warum hast du dem Anrufbeantworter in Kartaschows Wohnung keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt? Warum hast du nicht nachgefragt, wie Kartaschow auf Dr. Maslennikow gekommen ist? Wir haben einen ganzen Monat verloren. Du hast dich in die Version verrannt, die Jeremina sei tatsächlich in geistiger Verwirrung spurlos verschwunden, du hast die Vernehmungsprotokolle dieser Version angepasst und dir nicht die Zeit genommen, dich um Details zu kümmern. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass diese Version stimmt, aber parallel hättest du auf jeden Fall noch andere Versionen überprüfen müssen. Ich weiß, du hast es schwer, aber . . .
    Nastja hatte das Protokoll angefertigt und reichte es Maslennikow.
    »Lesen Sie es bitte aufmerksam durch. Wenn auch nur ein einziges Wort nicht stimmt, machen wir eine Korrektur. Und unterschreiben Sie bitte jede Seite einzeln.

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