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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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müssen es abwarten«, erwiderte Andrej schulterzuckend. »Etwas anderes bleibt uns nicht. Irgendwann müssen sie schließlich kundtun, was sie wollen.«
    Er sah auf die Uhr.
    »Ich muss gehen, mein Täubchen, ich bin schließlich Ehemann und Familienvater. Kyrill lasse ich dir hier. Morgen früh um sieben komme ich bei dir vorbei und bringe ein neues Türschloss an. Du hast nichts zu befürchten, Kyrill wird niemanden hereinlassen, allerdings wird er auch dir nicht erlauben, die Wohnung zu verlassen, also versuche es gar nicht erst.«
    »Vielleicht brauche ich Kyrill gar nicht«, wandte Nastja schüchtern ein. »Das Schloss ist ja nicht beschädigt, ich kann die Tür abschließen.«
    »Ich glaube, sie haben dir den überzeugenden Beweis dafür geliefert, dass sie einen Schlüssel zu deiner Wohnung besitzen. Willst du mitten in der Nacht aufwachen und den geheimnisvollen Fremden neben dir erblicken? Dein Leichtsinn ist manchmal wirklich erstaunlich. Bis morgen.«
    Andrej ergriff Kyrill liebevoll am Halsband und führte ihn zu Nastja. »Bewachen!«, sagte er streng und ging. Nastja blieb mit dem Hund allein zurück.
    Sie war müde, durchgefroren und hungrig, aber ihr größter Wunsch war es, eine heiße Dusche zu nehmen, sich ins Bett zu verkriechen und in ein Kind zu verwandeln, das bei seinen Eltern wohnt und sich vor nichts fürchtet. . .
    Nastja hatte sich auf dem Sofa zusammengerollt, ohne sich vorher auszuziehen. Nachdem sie aus ihrem Pullover geschlüpft war, um unter die Dusche zu gehen, war plötzlich solche Angst in ihr hochgestiegen, dass sie den Pullover schnell wieder angezogen hatte. Sie war sich sicher, dass sie nur ins Bad zu gehen brauchte, wo man das Geräusch des Lifts nicht hörte, und sofort würde es geschehen. Auch die Anwesenheit des vorbildlich abgerichteten Schäferhundes vermochte sie nicht zu beruhigen. Sie stellte den Fernseher an, um sich abzulenken, stellte ihn aber gleich wieder ab. Bei laufendem Fernseher waren Schritte im Treppenhaus nicht zu hören. Ihre Angst ging immer mehr in Panik über. Sie konnte sich nicht dazu entschließen, die Kaffeemühle anzustellen, weil das Geräusch zu laut war, und machte sich Stattdessen eine Tasse Pulverkaffee, der sie weder aufmunterte noch wärmte, sondern nur einen säuerlichen Geschmack im Mund hinterließ. Alles fiel ihr aus den Händen, sogar der Dosenöffner, sodass es ihr auch kaum gelang, etwas zu essen. Völlig erschöpft von ihren fruchtlosen Versuchen, die Angst zu überwinden, legte sie sich erneut aufs Sofa und versuchte, sich zu konzentrieren. Worin bestand der Unterschied zwischen dem heutigen und dem gestrigen Tag? Warum waren sie ausgerechnet heute in ihre Wohnung eingedrungen und nicht schon vor einer Woche? Weil sie vor einer Woche in Italien war und vorher nichts von einem Brisac gewusst hatte? Lag es an den Archivrecherchen des Praktikanten? Aber Tschernyschew war schon ganz zu Anfang der Ermittlungen im Archiv gewesen, und das hatte keinerlei Konsequenzen gehabt. Sie hatten weder auf die endlosen Vernehmungen reagiert, denen man in den letzten Wochen Boris Kartaschow und die Eheleute Kolobow unterzogen hatte, noch darauf, dass die Kassette aus Kartaschows Anrufbeantworter beschlagnahmt worden war. Sollte alles wirklich an diesem Brisac liegen? Aber warum? Und woher hatten sie den Schlüssel zu ihrer Wohnung?
    Was war am heutigen Tag noch geschehen? Gegen Abend war Oleg Mestscherinow aufgetaucht und hatte seine Exzerpte aus der Akte über Jereminas Mutter mitgebracht. Es stellte sich heraus, dass sie ein ziemlich ungeordnetes Leben geführt hatte. Sie brachte oft zufällige Zechkumpane mit nach Hause, die nicht selten in ihrem Bett landeten, ihre kleine Tochter ließ sie währenddessen allein in der Küche spielen und vergaß gelegentlich sogar, ihr etwas zu essen zu geben. Einen dieser Zechkumpane brachte sie eines Tages schließlich um, sie erstach ihn mit einem Küchenmesser direkt in ihrem Bett und schlief anschließend zufrieden neben der Leiche ein. Als sie ihren Rausch halbwegs ausgeschlafen hatte, stürzte sie schreiend hinaus ins Treppenhaus, wo sie gutherzigen Nachbarn in die Hände fiel, die sofort die Miliz benachrichtigten.
    Nastja hatte dem Praktikanten zugehört und überlegt, wie sie das Gespräch auf dessen eigenwilligen Besuch bei Kosarjs Witwe und das unglückselige Notizbuch lenken sollte. Sie wollte keinen Ärger mit Oleg, denn schließlich war er nicht hier, um heruntergeputzt zu werden, sondern um etwas

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