Der gewagte Antrag
begriffen?”
“Ja, sehr gut.”
“Dann werde ich es so arrangieren, dass ich dich morgen um halb drei Uhr unter einem gewichtigen Vorwand im Bücherkabinett benötige. Warum notierst du es dir nicht? Bitte, schreib es dir sofort auf. Ich will nicht, dass du mir morgen erklärst, du hättest den Termin vergessen. Nach Jacksons Enthüllungen brauche ich deinen Beistand, und du bist genau der richtige, mich zu trösten. Entschuldige mich jetzt. Ich muss zu Henson und ihm den Lohn für die Dienstboten geben. Und morgen sagst du mir, welches Geschenk ich demjenigen meiner Angestellten geben kann, der sich am meisten um mich verdient gemacht hat.” Elinor ging zur Tür und warf Chad nach einem Blick auf die immer noch schnarchende Tante eine Kusshand zu.
Der enge, fensterlose und mit Büchern vollgestopfte Raum war fürwahr nicht die stimmungsförderndste Umgebung. Nur durch die Glaskuppel drang etwas Licht herein. Für Elinor war er jedoch ein Zufluchtsort, wo sie sich für kurze Zeit mit Chad treffen konnte, sofern sie Glück hatte und nicht schon nach wenigen Minuten gestört wurde.
An diesem Nachmittag stand eine Belästigung nicht zu befürchten. Tante Annabelle hatte sich nach dem Lunch in ihr Boudoir begeben, und der an einer Magenverstimmung leidende Bibliothekar befand sich in seinem Zimmer.
Elinor schaute Chad an und sah, dass er offenbar erneut von Gewissensbissen geplagt wurde. Sie atmete tief durch und fragte argwöhnisch: “Was belastet dich heute, Chad? Wieder einmal dein Ehrgefühl, oder hast du plötzlich religiöse Anwandlungen bekommen?”
“Es trifft weder das eine noch das andere zu”, antwortete er grimmigen Gesichtes. “Ich komme zwar langsam zur Vernunft, aber wenigstens tue ich es. Heute Morgen sind mir zwei Dinge in den Sinn gekommen. Zum einen habe ich mir darüber Gedanken gemacht, was geschieht, falls ich deinen Wünschen und zugegebenermaßen auch meinem Verlangen nachgebe und du guter Hoffnung werden solltest …”
“Oh, Chad!”, unterbrach Elinor ihn begeistert. “Das wäre doch wunderbar! Oder befürchtest du, dass ich mich dann von dir abwenden könnte?”
Unwillkürlich lächelte er, krauste jedoch gleich die Stirn und sagte freimütig: “Nein, ich darf dich nicht lieben! Vielleicht habe ich Frau und Kinder. Ich muss wirklich den Verstand mitsamt meinem Gedächtnis verloren haben, weil ich nicht früher daran gedacht habe.”
“Ja, und?”, erwiderte Elinor und erschrak im Stillen, weil auch sie vor Verlangen zu Chad diese Möglichkeit, dass er gebunden sein könnte, bisher nie berücksichtigt hatte. “Auf mich machst du nicht den Eindruck eines verheirateten Mannes. Aber denkbar ist alles. Vielleicht hast du deine Familie verlassen und bist deshalb im Moor herumgewandert, oder du hast dich jetzt ihrer entsonnen, um mir auf diese Weise zu verstehen zu geben, dass zwischen uns nichts sein kann.”
Er schloss die Augen und bemühte sich, wie so oft in den vergangenen Monaten, sich seiner Vergangenheit zu erinnern. Aber nur wenig kam ihm in den Sinn. Er sah Sturmwolken über den Himmel ziehen, Blitze aus den schwarzen Wolken zucken, ein Pferd zusammenbrechen, aufgeregte Soldaten und das verärgerte Gesicht eines alten, ihn verachtenden Mannes. Er hatte das Gefühl zu fallen, und empfand Kummer, Bedauern und Schmerz.
“Nein, ich habe mich nicht meiner Familie entsonnen”, entgegnete er beklommen. “Je mehr ich bemüht bin, mich zu erinnern, desto schwerer fällt es mir. Nur hin und wieder, wenn ich nicht darauf gefasst bin, kommt mir eine Kleinigkeit in den Sinn. Ich bin auch nicht davon überzeugt, verheiratet zu sein. Möglicherweise ist das jedoch nur Wunschdenken, weil ich dich liebe. Ich sehne mich danach, endlich die Wahrheit zu kennen.”
“Die Wahrheit ist, dass du zurzeit in Campions und mein Sekretär bist, der mir das Leben gerettet hat und den ich, Gott möge mir vergeben, über alle Maßen liebe. Mir ist es gleich, ob du verheiratet bist und zwanzig Kinder hast. Aus Leidenschaft zu dir habe ich den Verstand verloren. Halstead hatte recht. Jede liebende Frau wird leichtfertig. Er hat seine Wette gewonnen, ohne es zu wissen. Vergiss deine Hemmungen, Chad, wie ich die Stimme meines Gewissens ignoriere. Was habe ich davon, Countess zu sein und halb Yorkshire zu besitzen, wenn ich nicht mit dem Mann, den ich liebe, zusammensein kann?”
“Du liebst den falschen”, erwiderte Chad rau und ging einen Schritt auf sie zu.
Sie näherte sich ihm und sah an
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