Der gewagte Antrag
nur bereit gewesen, um der Köchin und allen in der Küche Beschäftigten, die sich mit der Zubereitung der Köstlichkeiten sehr viel Mühe gegeben hatten, einen Gefallen zu tun. Sie hatten nicht das Bedürfnis, sich stärken zu müssen, sondern verspürten einen Hunger ganz anderer Art.
Sobald das Mahl beendet war, öffnete der Butler die Doppeltür, und, angeführt vom Verwalter, betraten der Stallmeister und der Bibliothekar den Raum, jeder ein gefülltes Champagnerglas in der Hand.
“Einst war es Sitte”, sagte John schmunzelnd, “dass ein Brautpaar sich vor den Augen auserwählter Freunde und Dienstboten zu Bett begab. Da die Zeiten sich geändert haben, bestehen wir nicht auf der Beibehaltung dieses alten Brauches. Aber wir haben beschlossen, dass ganz Campions Ihnen den Weg zum Brautgemach erhellen soll.” John toastete der Countess of Malplaquet und ihrem Gemahl zu, stellte das Glas ab und forderte sie mit einladender Geste auf, ihm zu folgen.
Elinor wunderte sich, was geschehen mochte. Am Arm des Gatten verließ sie das Speisezimmer und sah die Bediensteten in der Halle sowie auf den Stufen der girlandenumwundenen Prunktreppe in zwei Reihen stehen, jeder mit einer Kerze in der Hand. Langsam schritt sie feuchten Auges mit Chad durch das Spalier hinauf zur ersten Etage, vorbei an weiteren, den Korridor zum Schlafgemach säumenden Dienern, die ihr, wie der Verwalter es versprochen hatte, den Weg erhellten und ihr und ihrem Gatten Gottes Segen wünschten.
John öffnete die Tür, verneigte sich und ließ das Brautpaar eintreten.
Nachdem er sie geschlossen hatte, waren Elinor und Chad endlich ungestört. Ermattet sank sie in einen Fauteuil und sagte strahlend: “Siehst du, mein Schatz, alle haben dich akzeptiert. Du bist in Campions willkommen. Hier sind wir beide zu Hause, und die Öffentlichkeit mag denken, was sie will.”
Nachdenklich schaute Chad seine Frau an. Alles kam ihm noch sehr unwirklich vor, und er befürchtete, wenn er die Lider aufschlagen würde, aus einem wunderschönen Traum aufzuwachen. In diesem Moment höchsten Glücks erschien es ihm noch bedauerlicher, nicht zu wissen, wer er war und was er in seinem früheren Leben getan hatte. “Was habe ich dir zu bieten?”, erwiderte er leise. “Nichts!”
“Ganz im Gegenteil!”, widersprach Elinor, stand auf und umarmte ihn. “Du hast dich mir zu bieten. Was könnte ich Schöneres bekommen?”
Er ergriff ihre Hände, küsste ihr die Fingerspitzen und flüsterte weich: “Hab keine Angst, mein Schatz. Ich liebe dich und werde nichts tun, was dich bekümmern könnte.” Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: “Ich nehme an, es ist besser, wenn ich dich jetzt allein lasse, ins Ankleidekabinett gehe und mich dort für die Nacht herrichte.”
Dankbar für seine Rücksichtnahme schaute Elinor ihn an und erwiderte verlegen: “Ja. Vielleicht hältst du mein Benehmen nun nach allem, was ich früher gesagt und getan habe, für töricht, aber …”
“Nein, das ist nicht der Fall”, versicherte er ihr rasch. “Oh, Nell, in deiner züchtigen Befangenheit bist du ebenso bezaubernd wie in deinem selbstbewussten Stolz. Ich hoffe, ich kann dir heute Nacht beweisen, wie sehr ich dich liebe.” Sachte streichelte er ihr die Wange, drehte sich um und ging in das Ankleidezimmer.
Sie läutete der Zofe, ließ sich aus den Kleidern helfen und schickte Annie fort. Nur wenige Minuten später, nachdem sie sich zu Bett begeben hatte, klopfte Chad an die Verbindungstür. “Komm herein!”, rief Elinor und musste unwillkürlich über seine Diskretion lächeln.
Er betrat, in eine brokatene Robe de chambre gehüllt, die einst dem verstorbenen Earl gehört hatte, das Schlafgemach, löschte die Kerzen in den Wandleuchtern und ließ nur die auf dem Tisch brennen. Ein weiches, sanftes Licht erhellte den Raum, in das sich der Widerschein des rötlich flackernden Kaminfeuers mischte. Chad zog den Morgenmantel aus, legte sich zu seiner Gattin und sagte spröde: “Noch immer fällt es mir schwer zu glauben, dass wir jetzt verheiratet sind, aber ich bin verrückt vor Sehnsucht nach dir, Liebste. Selbst wenn ich das Erinnerungsvermögen verloren habe, weiß ich, dass ich seit Langem keine Frau besessen habe. Ich werde sehr rücksichtsvoll sein, Schatz, und versuchen, dich nicht durch meine Leidenschaft zu erschrecken. Aber …” Er hielt inne, gab ihr einen Kuss und murmelte unsicher: “Ach, du hast bestimmt begriffen, was ich sagen wollte, und wirst mir
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