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Der Gewinner Geht Leer Aus

Der Gewinner Geht Leer Aus

Titel: Der Gewinner Geht Leer Aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Stark
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Dunkelheit dort sein, dachte Griffith und sagte: »Ich freue mich schon, Sie wiederzusehen, Pax.«
    »Ich auch«, sagte Marino kurz angebunden und legte auf.
    Sonderbar, dachte Griffith. In New York musste es jetzt halb vier morgens sein. Marino hatte sehr aufgeregt geklungen, er hatte sich nicht mal zehn Minuten Zeit genommen, um seine neuesten Erwerbungen zu beschreiben, und wollte für ein Abendessen und eine »Unterhaltung« über den Atlantik fliegen?
    Und er würde das Haus in Courmayeur vorbereiten lassen müssen, denn für die Saison war es noch viel zu früh. Erst im Dezember würden die reichen Mailänder ihre Chalets in den italienischen Alpen beziehen. Außerhalb der Saison würde sich Paxton Marino nie und nimmer in einer seiner Residenzen sehen lassen. Was war hier los?
     
    Ein Europäer hätte für die Fahrt etwas weniger als drei Stunden gebraucht, aber als Amerikaner musste Griffith zweimal seinen Pass vorzeigen, nachdem er bei Genf auf die Route Blanche gefahren war, erst an der französischen Grenze, um bei Chamonix das nördliche Ende des Mont-Blanc-Tunnels zu erreichen, und dann noch einmal, als er nach elf Kilometern am südlichen Ende bei Courmayeur die italienische Grenze passierte.
    Der Tunnel war nach dem schrecklichen Feuer von 1999,bei dem neununddreißig Menschen verbrannt waren, instand gesetzt worden und schien jetzt heller, größer, ja sogar sauberer als zuvor, und die schweren Lastwagen, die dieser tief durch den Berg führenden Röhre etwas Bedrohliches verliehen hatten, waren beinahe ganz verschwunden. Dennoch konnte sich Griffith des Gefühls nicht erwehren, dass unter der gewölbten Decke Geister schwebten – der leise Nachhall der Schreie, das bedrückende Bewusstsein, wie dunkel es ohne elektrische Lichter in dieser Höhle unter den Alpen wäre.
    Griffith glaubte eigentlich nicht an Geister und war doch immer von ihnen umgeben. Er handelte hauptsächlich mit europäischen Gemälden und Skulpturen aus dem 14. bis 18. Jahrhundert, und die meisten Schöpfer dieser Kunstwerke hatten fest an Geister, eine unsichtbare Welt und einen oft rachsüchtigen und manchmal gnädigen Gott geglaubt. Sie hatten Heilige und Sünder, Märtyrer und Wunder gemalt, und Griffith war ganz und gar mit ihren Werken vertraut.
    Außerdem hatte er sich, in den dunkleren Bereichen seiner Branche, als jemand erwiesen, der gut in die von jenen Künstlern geschilderte Welt passte. Auch er war nur ein irrender Mensch. Er glaubte im Grunde nicht an eine kosmische Buchführung in moralischen Dingen, doch in den hinteren Regionen seines Geistes war er sich stets undeutlich bewusst, dass er eine Strafe, sollte sie ihn dereinst ereilen, mehr als verdient hatte.
    Jeder, der mit wertvollen Kunstwerken handelt und sich in den gehobenen Preisregionen bewegt, wird hin und wieder in Versuchung geführt, nahezu ohne jedes Risiko mit gestohlenen oder gefälschten Werken zu handeln. Griffith beneidete manchmal die Kollegen, die ihr nie erlegen waren,wusste aber auch, dass er niemals so gut, so sorgenfrei hätte leben können, wenn er auf dem Pfad der Tugend geblieben wäre. Wenn Tugend tatsächlich ihren Lohn in sich trug, musste Griffith zu seinem Bedauern dorthin gehen, wo der Lohn greifbarerer Natur war.
    Und wenn er ein guter Junge geblieben wäre, hätte er nie Paxton Marino kennengelernt, oder? Er wäre nie Marinos exklusiver Kunstagent geworden, der diesen – eine erstaunlich lukrative Position – bei allen Geschäften vertrat, sowohl den legalen … als auch den anderen.
    Hinter dem italienischen Grenzposten am südlichen Tunnelausgang lenkte Griffith den gemieteten Audi in Richtung Dorf. Die auf den Hängen des Val d’Aosta verstreut wie Monopoly-Häuschen stehenden Chalets wirkten auf der schmutzigbraunen baumlosen Erde und ohne ihre Luxusmäntel aus Schnee nackt und leer. Weiter oben schmolz der Schnee nie ganz, nicht einmal in Zeiten globaler Erwärmung, und dort oben lag Griffith’ Ziel.
    Marinos Chalet, das er sich vor vier Jahren hatte bauen lassen, stand nördlich des Hauptortes, am hangwärts gelegenen Ende von Dolonne. Vom größten Wohnzimmer an der Westseite des Hauses sah man die Seilbahnkabinen wie winzige Spielzeuge hinauf nach Checrouit schweben.
    Es war noch nicht die Saison für Seilbahnen. Vor einem hellblauen Himmel, so kalt wie das Weltall, reckten sich die Drahtseile zu seiner Linken leer zum Gipfel. Der Audi fuhr knurrend bergauf und schien sich über diese Herausforderung zu freuen. Es

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