Der Gewinner Geht Leer Aus
herrschte nur wenig Verkehr auf dieser Straße – hauptsächlich waren irgendwelche Handwerker unterwegs, die die Chalets für die Saison bereitmachten.
Marinos Haus war für seine Verhältnisse bescheiden, ein Gebäude aus gleißendweißem Beton, das nach Westen überden steilen Abhang ragte und dessen West- und Südfassade aus großen Fenstern mit verchromten Rahmen bestand. Die Straße wand sich unterhalb des Hauses hinauf, so dass die Schwimmer in dem mit einem Glasboden versehenen Pool jeden Ankömmling durch das beheizte Wasser und das grüngetönte Glas sehen konnten.
Die Zufahrt führte an der fensterlosen, dem Berg zugekehrten Nordseite des Hauses vorbei und endete an der Ostseite, wo das Haus auf den Felsen saß. Vor dem alten, reichverzierten Tor, dem einzigen Element aus Holz in der ganzen Front – es stammte aus dem Portal einer Kirche in Landsruhe –, warteten zwei Angestellte; der eine nahm ihm das Gepäck ab, der andere fuhr den Audi in die Garage.
Griffith folgte dem Mann ins Haus und genoss wieder einmal den eisigen Luxus, die Atmosphäre der Macht, die alle Häuser Marinos umgab. Er wurde in das Gästezimmer geführt, in dem er auch die anderen drei Male, die er hiergewesen war, übernachtet hatte; offenbar führte das Personal über dergleichen Buch.
Der Mann legte Griffith’ kleinen Koffer auf das Bett und sagte: »Mr. Marino erwartet Sie um sieben. Er ist noch nicht eingetroffen.«
»Danke.«
»Wenn Sie schwimmen möchten –«
»Danke, ich weiß, wo es ist. Und ich habe meine Badehose dabei.«
Im Pool sah Griffith durch das Wasser und das Glas, wie sich der weiße Daimler näherte, winzig und spielzeuggleich. (Dieser Glasboden war immer wieder irritierend, aber auch aufregend.) Er war allein in der widerhallenden und stets etwas dampfigen Halle und tauchte hinab auf den Bodendes Beckens, um zuzusehen, wie der Daimler um die Ecke des Gebäudes verschwand und dann wiederauftauchte.
Da Griffith sich hauptsächlich in Kreisen bewegte, in denen man exzellent aß und trank, gab er sich große Mühe, in Form zu bleiben. Zu Hause in Dallas hatte er einen Fitnessraum und einen mittelgroßen Pool. Wann immer er auf seinen Reisen Gelegenheit hatte zu schwimmen, tat er das und bewegte sich dabei stets in derselben Bahn, selbst wenn der Pool so lang und breit und leer war wie dieser.
Jetzt schwamm er noch drei Bahnen – sechzig insgesamt –, stieg aus dem Wasser, trocknete sich ab, schlüpfte in die Sandalen, die er im Gästezimmer vorgefunden hatte, fuhr mit dem Aufzug ein Stockwerk hinauf und ging durch den breiten Korridor zu seinem Zimmer. Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte 6:43. Er zog sich an, nahm seine abendlichen Tabletten – gegen Bluthochdruck und zur Senkung des Cholesterinspiegels – und begab sich in das riesige Wohnzimmer mit seinem herrlichen Ausblick nach Süden und Westen über Courmayeur und die anderen Villen und Dörfer, die sich in die Furchen der Bergflanke schmiegten.
Marino war noch nicht da. Griffith ließ sich von dem im Hintergrund bereitstehenden Dienstmädchen einen Glenfiddich pur und ohne Eis bringen, stand vor der grandiosen Aussicht und ließ den Drink im Glas und im Mund kreisen, als Marino eintrat.
»Horace!«
Griffith drehte sich um und sah seinen Gastgeber mit ausgestreckter Hand auf sich zukommen. »Pax«, sagte er und erwiderte den festen Händedruck.
Er wusste sofort, dass irgendwas nicht stimmte. Der weltgewandte, gelassen arrogante Paxton Marino, den er kannte, war verschwunden – statt seiner stand da ein unsichererMann, der seine Schwäche zu verbergen suchte. »Ich bin froh, dass Sie kommen konnten, Horace«, sagte er. »Ich habe aus Rom Steaks einfliegen lassen – wir werden also nicht verhungern.«
»Gut.«
Marino sah sich nach dem Dienstmädchen um. »Haben Sie schon …? O ja, ich sehe, Sie haben schon einen Drink.«
»Ja.« Griffith stand in dem Ruf, bei Verhandlungen sehr direkt, manchmal geradezu beunruhigend direkt zu sein, und er hatte das Gefühl, dass er hier in Verhandlungen stand. »Pax«, sagte er, und seine Miene und Stimme waren so besorgt wie die eines Freundes, »was ist los?«
Marino verzog das Gesicht zu etwas, das Ähnlichkeit mit seinem gewohnten Lächeln hatte. »Was los ist? Warum sollte irgendwas –« Mit einem anderen Lächeln und einem Kopfschütteln hielt er inne. »Warum Zeit damit verschwenden, Ihnen was vorzumachen? Setzen Sie sich, setzen Sie sich.« Er wandte sich an das Dienstmädchen und sagte:
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