Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gewinner Geht Leer Aus

Der Gewinner Geht Leer Aus

Titel: Der Gewinner Geht Leer Aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Stark
Vom Netzwerk:
die Küche, wo sich jetzt eine Hausangestellte zu schaffen machte. Bevor er entscheiden konnte, was er tun sollte, nickte sie ihm zu, murmelte etwas auf spanisch und fuhr mit ihrer Arbeit fort.
    Das Glück war also mit ihm. Hätte er noch so mitgenommen ausgesehen wie vor wenigen Minuten, dann hätte sie ihn wohl kaum für einen Hausgast gehalten. Er lächelte ihr zu und schlenderte, mit einemmal viel weniger nervös, aus der Küche.
    In den folgenden zwanzig Minuten erkundete er das Haus. Von Zeit zu Zeit sah oder hörte er Menschen – einmal vernahm er Georges Stimme aus einem nahe gelegenen Zimmer, und mehrmals erblickte er Hausangestellte oder Leute, die keine Angestellten waren, die er aber nicht kannte –, doch er achtete darauf, dass ihn niemand bemerkte. Für den Fall, dass er jemandem in die Arme lief, hatte er eine Ausrede parat, doch dazu kam es nicht.
    Er ging durch das Erdgeschoss, wo das Mittagessen vorbereitet wurde, und dann die große Treppe hinauf, die sich nach rechts und links teilte; beide Aufgänge führten zu einem breiten Korridor. Hier waren hauptsächlich Schlafzimmer und Bäder, und als er die dritte Tür links öffnete, sah er Brad in einem grünen Polohemd und einer braunen Baumwollhose auf einem ungemachten Bett sitzen und sich eine schwarze Socke anziehen. Er blickte überrascht auf, und wenn das, was für einen winzigen Augenblick über sein Gesichthuschte, wirklich Angst war, so war es sogleich verschwunden: Einen Fuß mit einer schwarzen Socke bekleidet, den anderen nackt, sprang Brad mit dieser lärmenden, gekünstelten Herzlichkeit, die Lloyd so gut kannte, vom Bett auf, breitete die Arme aus und rief: »Larry! Ist das denn die Möglichkeit?«
    Und mit einemmal war Lloyd wieder der, der er immer gewesen war: der Computerfreak, der Gefolgsmann, die Nummer zwei, der geborene Handlanger. Die Jahre, die er allein verbracht hatte, waren schrecklich gewesen – er hatte Entscheidungen selbst treffen müssen, ohne irgend jemanden, dem er gehorchen, an dem er sich orientieren konnte. Brad war ein Führer und brauchte Larry, und Larry war ein Gefolgsmann und brauchte Brad. So einfach war das.
    Lloyd stand da, verblüfft mehr über sich selbst als über Brad, und ließ sich die Umarmung gefallen, ohne sie zu erwidern. Dann trat Brad einen Schritt zurück, musterte ihn von oben bis unten, grinste wie einer, der seinen alten Kumpel aus Collegetagen endlich wiedergefunden hat, und sagte: »Lass dich mal ansehen. Du hast dich verändert.«
    »Das gilt für uns beide.«
    Es stimmte. Die Zeit und das Leben im Gefängnis hatten sie härter gemacht, auch wenn es bei Brad nicht so auffiel. Er war schon immer selbstsicher gewesen und wirkte jetzt wie ein Mann, dem in die Quere zu kommen gefährlich sein konnte.
    Und ich dachte, ging es Lloyd durch den Kopf, es wäre gefährlich, mir in die Quere zu kommen. Was bin ich für ein Dummkopf!
    »Wie hast du das gemacht?« fragte Brad. »Was für eine Überraschung! Warum hast du nicht angerufen? Du hast wahrscheinlich die Pressemeldungen gelesen.«
    »Ja«, sagte Lloyd. »Kein Gewaltverbrechen. Gute Aussichten auf Resozialisierung.«
    »Genau«, sagte Brad und lachte. »Kommst du wieder mit ins Boot, Larry? Wir werden ihnen zeigen, was wir draufhaben, du und ich.«
    Lloyd war verwirrt über das, was sie beide hier veranstalteten. Müsste Brad nicht voller Ressentiments sein, weil Lloyd ihn belastet hatte? Müsste Lloyd nicht voller Ressentiments sein, weil Brad ihn bestohlen und gedemütigt hatte? Doch irgendwie hatten sie all das anscheinend sofort hinter sich gelassen und eine neue Beziehung begonnen. Oder die alte wiederaufgenommen, als wäre nichts geschehen.
    Aber es war etwas geschehen. Lloyd versuchte, seine Fassung wiederzufinden, sah sich um und bemerkte auf der antiken Kommode eine angebrochene Flasche Rotwein. »Du gehst noch immer mit Wein zu Bett?« fragte er.
    »Zum erstenmal seit Jahren«, sagte Brad. »Aber du weißt ja, wie das ist – du warst ja ebenfalls im Bau. Was ist eigentlich mit deinem Gesicht passiert? Du bist ganz zerkratzt.«
    Lloyd ging zur Kommode und sagte: »Ich bin die Klippe raufgeklettert. Kann ich mir den mal ansehen?«
    »Klar«, sagte Brad. Lloyd griff nach der Flasche und las das Etikett. »Du bist die Klippe raufgeklettert?«
    »Allerdings.«
    »Aber warum denn nur?«
    »Na ja«, sagte Lloyd, »ich bin gekommen, um dich umzubringen.« Er schlug die Flasche, so fest er konnte, in das verlogene, lächelnde

Weitere Kostenlose Bücher