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Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Titel: Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston Dewalt
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der vielen Menschen geradezu luxuriös erschienen wäre. Unsere Mittel und Möglichkeiten machten uns zwar zu Privilegierten, waren aber noch lange keine Sicherheitsgarantie. Wenn alles gutging, würden wir in wenigen Wochen auf unserem Weg zum Gipfel wieder diese Stelle passieren. In über 8000 Meter Höhe, wo die dünne Luft jeden Fehler vervielfacht, wo ein Schluck heißer Tee aus einer Thermosflasche zwischen Leben und Tod entscheidet, kann auch noch soviel Geld den Erfolg nicht gewährleisten.
    Natürlich hatte jeder von uns den Ehrgeiz, den Gipfel zu erreichen, die Hindernisse zu bewältigen und eine von vielen als unmöglich angesehene Leistung zu vollbringen. Aber heutzutage ist der Preis für die Besteigung des Everest wohl ein ganz anderer. Immer mehr Menschen scheinen bereit zu sein, eine bestimmte Geldsumme für die Gipfelchance zu bezahlen, nicht aber den körperlichen Preis für die notwendige Kondition. Die kann man nur durch ein allmähliches Sich-Steigern, körperlich und geistig, erreichen – von niedrigen, leichteren Gipfeln bis zu anspruchsvolleren und schließlich zu Achttausendern. Ist ein solcher Prozeß nicht schon Erfüllung an sich, fragte ich mich, oder hat der Einsatz von Sauerstoff, ausgefeilter Technik und bezahlten Dienstleistungen, die es auch dem nur unzulänglich Trainierten ermöglichen, in immer größere Höhen vorzudringen, das Höhenbergsteigen für immer verändert?
     
    Beidleman kam mit den anderen näher, und sie sahen den Toten. »Es wurde nicht viel gesprochen. Jeder bewältigte es auf seine Weise. Ich empfand das Schweigen als respektvoll, vielleicht sogar als lehrreich«, erinnerte sich Boukreev.
    Als Bergführer von Mountain Madness war Boukreev Mitspieler in einem Spiel, das ihm zunehmend fragwürdiger erschien. Er war mit einer Gruppe unterwegs, deren Fähigkeiten bei weitem nicht an seine heranreichten. Er wußte, daß ihre Sicherheit seine vorrangige Aufgabe war, hatte jedoch auf manches keinen Einfluß. So gab ihm Pete Schoenings Kondition Anlaß zu Besorgnis, da dessen Höhenprobleme allmählich seine Leistung beeinträchtigten. Aber nicht nur Petes gesundheitliche Verfassung konnte zu einem Risiko werden, sondern auch das Sauerstoffproblem. Mountain Madness hatte sich ausreichend mit Sauerstoffflaschen eingedeckt und noch einen Vorrat für unvorhergesehene Fälle dazugekauft. Allerdings hatte Pete bereits im Basislager angefangen, auch in der Nacht Sauerstoff zu benutzen, was an sich nicht üblich war. Wenn das so weiterging, würde die eiserne Reserve rasch zusammenschmelzen. Petes Ausdauer und Energie nötigten Boukreev Respekt ab, konnten aber seine Bedenken hinsichtlich seiner Kondition nicht ausräumen. Boukreev hoffte, Fischer würde ihm nach diesem Abstieg von weiteren Aufstiegen dringend abraten.
     
    Etwa fünfzig bis hundert Meter nach der Begegnung mit dem Toten erreichten wir den Anfang der Fixseile, wo die Route über die vereiste Lhotse-Flanke steiler anstieg. Neal schlug vor, wir sollten unsere eigenen Seile hier zurücklassen und ins Lager II zurückkehren, da die Gruppe ohne Steigeisen und Eisausrüstung trotz der Fixseile nicht ausreichend gesichert aufsteigen konnte. Ich schaute auf die Uhr und sagte, daß ich allein weitergehen und bis Lager III Seile anbringen wolle.
    Ich holte aus meinem Rucksack Steigeisen, Klettergürtel und einen Jümar und nahm auch Neils Seilrolle mit. Als ich mich am Fixseil einhängte, um meinen Anstieg zu beginnen, machte Neal kehrt und begleitete die Gruppe hinunter, die nach der morgendlichen Mattigkeit wieder ganz munter geworden war. Ich machte mir keine Sorgen um ihre Sicherheit, da ich sie bei Neal gut aufgehoben wußte, außerdem war das Wetter schön und der Weg markiert. Ein wenig beneidete ich sie um ihr Essen in Lager II, andererseits war ich froh, durch Arbeit in dieser Höhe meine Kondition noch mehr verbessern zu können. Ich wußte aus Erfahrung, daß sich schwere Arbeit in ungewohnter Höhe vor dem Abstieg und einer Ruhephase bei einem neuerlichen Aufstieg sehr positiv auswirkt.
     
    In einer knappen Stunde kam Boukreev bis auf 6990 Meter, bis zu dem Punkt, wo die von den Sherpas des Vorausteams angebrachten Fixseile endeten. Er zog sein Seil aus dem Rucksack und machte sich an die Arbeit. Nach eineinhalb Stunden waren die Seile, die er und Beidleman mitgenommen hatten – insgesamt über zweihundert Meter – bis auf 7100 Meter verlegt. Obwohl er noch gut in Form war, begann er gegen sechzehn Uhr

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