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Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Titel: Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston Dewalt
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den Abstieg, da er den Khumbu-Eisbruch noch vor Einbruch der Dunkelheit hinter sich bringen wollte.
    Mit seiner Arbeit war er sehr zufrieden, da ihm daran lag, daß die Gruppe in wenigen Tagen ohne Verzögerungen an den Seilen bis zum Lager III aufsteigen konnte, sobald sie sich von ihrem ersten Ausflug ins Lager II erholt hatte. Das Fenster für den Gipfel stand – wenn überhaupt – vielleicht nur einen Tag offen. Aber auch wenn es eine ganze Woche offen blieb, hatte man nichts davon, wenn die Kunden nicht fit waren. Sie mußten weiterhin an ihrer Akklimatisation arbeiten, und um höherzusteigen, brauchten sie die Fixseile.
     
    Es war ein leichter Abstieg. Die Distanz von 7100 auf 6500 Meter legte ich in einer Stunde zurück. Wie erwartet, waren Neal und die Gruppe schon aufgebrochen, doch herrschte noch immer Betriebsamkeit, da die Sherpas damit beschäftigt waren, das Lager noch besser zu sichern. Gyalzen, unser Koch, begrüßte mich und bot mir einen Imbiß und heißen Tee an, und nach einer kurzen Rast setzte ich meinen Rückweg fort und traf vor Einbruch der Dunkelheit im Basislager ein. Ich setzte mich zu unseren Leuten ins Essenszelt und wechselte ein paar Worte mit Scott und Neal. Dann ging ich zu meinem Zelt, da mich mein Arbeitspensum doch sehr ermüdet hatte und ich mich auf die bevorstehenden Ruhetage freute.
     
    Am gleichen Abend gab Sandy Hill Pittman ihren Bericht vom 19. April an NBC durch. Sie schilderte die Begegnung mit dem von Boukreev entdeckten Toten und sagte: »Diese Entdeckung war das makabre Ende eines ansonsten erfolgreichen Aufstiegs.«
    Am Morgen des 20. April verspürte Boukreev »kein besonderes Verlangen«, aus dem Schlafsack zu kriechen, auch nicht, als es schon acht Uhr war und die Sonne auf sein Zelt schien. Nach einer Tasse Kaffee, die ihm ein Sherpa brachte, ließ er sich Zeit und genoß den Müßiggang nach der Tour und der Arbeit des Vortages. In einer Anwandlung von Pflichtgefühl riß er schließlich den Reißverschluß seines Schlafsacks auf, schlüpfte in seine Sachen und lief zum Essenszelt.
     
    Die meisten hatten schon gegessen und saßen vor dem Zelt in der Sonne und plauderten. Als auch ich mich nach einem raschen Frühstück in die Sonne setzte, sah ich, daß Scott Anstalten machte, mit Pete Schoening zum Lager II aufzusteigen, da dieser einen erneuten Versuch wagen und oben übernachten wollte. Scott wirkte müde und schien wenig begeistert von der bevorstehenden Tour. Ich hatte den Eindruck, daß ihn die logistischen Probleme, mit denen er sich herumschlagen mußte, viel Kraft gekostet hatten. Dazu kam der Umstand, daß er sich nach seiner letzten Akklimatisationstour zu wenig Ruhe gegönnt hatte.
    Scott kam zu mir und begrüßte mich freundlich, um mich gleich darauf mit der Äußerung zu überraschen: »Anatoli, beim letzten Anstieg hast du dich aber nicht sehr ausgezeichnet.«
     
    Der verdutzte Boukreev wußte nicht, wie ihm geschah. Er selbst war zufrieden mit seiner Arbeit und den Leistungen der letzten Tage. »Was ist mit meiner Arbeit?« fragte er Fischer, der daraufhin freundlich, aber bestimmt sagte: »Du sollst dich um unsere Kunden zu wenig gekümmert haben. Beim Aufstellen ihrer Zelte in Lager II hast du ihnen nicht geholfen.« Boukreev, der nicht einsah, was an seinem Verhalten unkorrekt gewesen sein sollte, sagte, daß er in Lager II noch vor Eintreffen der anderen gemeinsam mit den Sherpas das Essenszelt aufgebaut hatte. Danach habe er sich ausgeruht. Gewiß, er hatte den Kunden nicht geholfen, weil es aussah, als hätten sie keine Hilfe nötig, und weil er glaubte, daß ein wenig Betätigung unterwegs gut für ihre Akklimatisation sein würde. Fischer war da anderer Meinung.
     
    Langsam dämmerte mir, daß ich die Gründe, deretwegen ich angeheuert worden war, mißverstanden hatte oder daß sich die in mich gesetzten Erwartungen irgendwie verschoben hatten. Ich hatte geglaubt, Scott legte vor allem Wert auf meine Erfahrung, die eine gewisse Sicherheitsgarantie für die Kunden darstellte. In diesem Sinne hatte ich meine Arbeit getan und mich auf Dinge konzentriert, von denen ich glaubte, daß sie zum Erfolg beitragen könnten. Vor allem hatte ich versucht, die Probleme auszuschalten, die uns von einem Gipfelvorstoß abhalten konnten. Daß es ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger war, mit den Kunden zu plaudern und sie bei Laune zu halten, indem ich mich um ihr persönliches Wohlbefinden kümmerte, war mir nicht klar. Ich kannte etliche

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