Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
Führer in Amerika, die für diese Zwecke viel geeigneter waren, wenn sie auch weniger Erfahrung im Höhenbergsteigen aufzuweisen hatten.
Boukreev, der sehr stolz auf seine Fähigkeiten als Bergsteiger war, sah sich nun einem Dilemma gegenüber. Worauf sollte er sich konzentrieren? Würde er es schaffen, das zu tun, von dem er glaubte, daß es ursprünglich von ihm erwartet worden war, und zusätzlich Fischers Erwartungen zu erfüllen? Er wandte sich ratsuchend an Beidleman.
Ich besprach das Problem mit Neal und erklärte ihm meine Bedenken. Er sagte: »Anatoli, einige aus unserer Gruppe sind zum ersten Mal an einem Achttausender und haben von den einfachsten Dingen keine Ahnung. Sie wollen, daß wir ständig mit ihnen Händchen halten.« Ich antwortete, daß mir das absurd vorkäme, und wiederholte, daß wir die Eigenverantwortung der Leute fördern müßten. Ebenso wichtig aber sei es, die Route vorzubereiten und Fixseile anzubringen. Neal widersprach mir und sagte, daß wir für diese Aufgabe genügend Sherpas hätten. Darauf wandte ich ein, daß angesichts unserer derzeitigen Situation damit zu rechnen sei, daß die Hochlager nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen würden und unser Akklimatisationsprogramm gefährdet sei.
Neal, wie immer ruhig und gelassen, beruhigte mich: »Anatoli, alles wird sich finden. Beim letzten Aufstieg fühlten wir uns tadellos, was schließlich die Hauptsache ist. Die Hälfte der Gruppe hat ohnehin keine Erfolgschance. Für viele wird der Aufstieg am Südsattel (7900 Meter) zu Ende sein. Für mich steht fest, daß du über 8000 Meter im entscheidenden Moment ganze Arbeit leisten wirst. Alle werden es sehen und dann auch zu schätzen wissen.«
10. Kapitel Erste Verzögerungen
Am 21. April, unserem zweiten Ruhetag, erhielten wir über Funk Nachricht von Scott, der die letzte Nacht mit Pete Schoening in Lager II verbracht hatte. Er sagte, daß es die ganze Nacht gestürmt habe, manchmal mit Windgeschwindigkeiten bis hundert Stundenkilometern. Mit Hilfe der Sherpas hätten sie einige Zelte abgebaut, damit sie nicht zerfetzt und vom Berg geweht würden. Auch im Basislager hatten wir den Sturm zu spüren bekommen, der nachts an meinem Zelt rüttelte.
Während dieser Ruhepause nahm unsere Expeditionsärztin Dr. Ingrid Hunt an einigen Kunden und Führern mit einem Puls-Oxymeter einen Test vor, um die Sättigung des Blutes mit Sauerstoff zu bestimmen. Wie immer lag Boukreevs Wert etwas über 90, was für die Meereshöhe normal war und anzeigte, daß er und Fischer, der ähnliche Werte hatte, sich außergewöhnlich gut an die Höhe angepaßt hatten. Dr. Hunts eigener Wert lag zwischen 70 und 80; der eines ihrer Sorgenkinder nur um 60, ein Ergebnis, das sie »als zu niedrig, sogar für hier oben« 20 bezeichnete.
Boukreev, der eine naturwissenschaftliche Ausbildung hatte, erinnerte sich an den Test, der ihn nicht überzeugte. »Diese Werte sagten mir wenig, außerdem glaubte ich nicht so recht an den Test. An äußeren Anzeichen kann man viel mehr ablesen.« Wie auch immer, Boukreev und Dr. Hunt waren sich einig, daß sich einige Kunden beim Gipfelvorstoß einem großen Risiko aussetzten.
Während der Ruhephase diskutierten wir unser Vorgehen bei der Akklimatisation eingehend und setzten für den 23. April eine Tour zum Lager III an. Bis dahin hätten die Sherpas wie geplant das Lager errichten und versproviantieren müssen. Es war ein Anstieg, auf den wir nicht verzichten konnten. Ich betonte, wie wichtig es sei, einige Zeit auf dieser Höhe zu verbringen, und schlug vor, wir sollten nach einer Nacht in Lager III vor dem Abstieg eventuell noch zwei- oder dreihundert Meter höher gehen. Meiner Erfahrung nach steigerte ein solcher erfolgreicher Aufstieg in Verbindung mit einer ausgiebigen anschließenden Ruhepause die Erfolgschancen über 8000 Meter ganz erheblich.
Ziel aller Touren war nicht nur eine gute Akklimatisation, sondern auch der Aufbau einer Energiereserve, wie Boukreev immer wieder betonte. Er wurde nicht müde, die Kunden zu ermahnen, daß diese Touren Kraft verbrauchten, Kraft, die sie auch während der Pausen nicht ganz zurückgewinnen konnten, da »volle Kompensation nicht einmal während einer langen Ruhephase im Basislager möglich ist.« Boukreev gewann zunehmend den Eindruck, daß diese Ermahnung auf taube Ohren stieß. Die Leute verstanden unter Akklimatisation etwas ganz anderes, nämlich Höhensteigerung von einer Tour zur anderen.« Eine
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