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Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Titel: Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston Dewalt
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sagte, ich solle weitergehen: ›Tu es, du kannst es, was ist das schon, noch zwei läppische Stunden‹, während die andere drängte: ›Lou, beim Abstieg wirst du draufgehen, und wenn du es doch schaffen solltest, bist du deine Finger los.‹
    Bis zum heutigen Tag wundere ich mich, daß ich wirklich kehrtmachte. Ich sagte zu Lhapka: ›Geh und sag Robert, daß ich umkehre.‹ Das alles dauerte vier, fünf Minuten. Ich glaube, Stus Bemerkungen haben mich auch irgendwie beeinflußt, wenigstens oberflächlich. Aber ich weiß, daß ich meine Entscheidung allein traf, da ich an diesem Punkt erkannte, daß ich es nicht schaffen würde, lebendig hinauf- und wieder herunterzukommen. Zumindest nicht heil und unversehrt.
    Zusammenfassend möchte ich sagen, daß ich nicht mehr glaubte, es zu schaffen. Im günstigsten Fall hätte ich Finger und Zehen verloren. Dazu kommt, daß ich zum Unterschied von einigen anderen nicht unter Druck stand. Ich wollte zwar auf den Everest-Gipfel, hätte mir im Falle eines Fehlschlags aber nicht den Kopf abgerissen. Aber ich lebe in Detroit. Wenn ich dorthin zurückkomme und sage: ›Ich war auf dem Mount Everest‹, würde man mich ansehen und antworten: ›Ja gut, aber weißt du schon das Neueste von den Detroit Redwings?‹ Damit will ich sagen, daß es dort niemanden kümmert, da kaum einer weiß, wo der Mount Everest ist. ›Ja, richtig, ist das nicht, der höchste Berg der Welt?‹ Tatsächlich sagten viele: ›Und ich dachte, du wärest schon oben gewesen.‹ Für mich war es also keine Angelegenheit auf Leben und Tod, nicht die wichtigste Sache der Welt, und die Presse hätte auch nicht über mich berichtet. Ruhm und Geld, Weltrekorde, alles das, was für die anderen auf dem Spiel stand – für einige jedenfalls -, das alles fiel bei mir weg. Der Gipfel hätte mir viel bedeutet, keine Frage. Aber es war nicht so, daß mein Ehrgeiz jede andere vernünftige Überlegung ausgeschaltet hätte.«
    Gegen elf Uhr vierzig kehrte Lou Kasischke um, ebenso wie Stu Hutchison und John Taske. Für sie war der Everest gelaufen. Kasischke weiß noch, daß er um die Mittagszeit mit Scott Fischer zusammenstieß. »Wir sprachen miteinander, und ich sagte zu ihm: ›Scott, ich halte es für vernünftiger, wenn ich umkehre.‹ Die Ironie liegt darin, daß ich mir damals nicht allzuviel dabei dachte, aber Scott schaute mich an und sagte: ›Eine gute Entscheidung, Lou.‹
    Er war der alte Scott, augenzwinkernd, Schnee im blonden Haar – sein Aussehen, dieses typisch Amerikanische an ihm. Wir blieben etwa eine halbe Minute stehen, dann ging er in diese und ich in die andere Richtung.«

15. Kapitel Die letzten hundert Meter
     
    Am Südgipfel, hundert Meter unter dem Everest-Gipfel, traf Martin Adams auf einen nicht allzu glücklichen Neal Beidleman. »Ich weiß nicht, warum, aber er sagte nicht viel und schien schlechter Laune. Ich setzte mich, nahm den Rucksack ab und holte Wasser heraus, von dem ich Neal anbot. Er nahm es an, weil seines gefroren war.«
    Adams erinnerte sich, daß sie eine Weile, so gegen zwanzig Minuten, dasaßen und wenig sprachen. Dann stand Beidleman auf und stieg zu einer natürlichen Nische knapp unterhalb des Südgipfels ab, die Schutz vor dem Wind bot.
    Adams folgte ihm, und als sie sich wieder setzten, frage Beidleman ihn: »Wieviel Sauerstoff hast du?« Adams nahm seine Flasche vom Rücken. »Mein Druckmesser zeigt fünf Liter an, und wieviel hast du?« Er antwortete: »Ich auch, fünf Liter, aber ich habe noch eine Flasche von Toli.«
    Adams Ungeduld mit dem Tempo kämpfte mit seinem natürlichen Drang zur Aktivität, da er nicht der Typ war, der herumhockte. Sogar in diesem von leichter Höhenkrankheit beeinträchtigten Zustand begriff er sehr wohl, daß er die letzten Reste seines Sauerstoffs aus der zweiten Flasche atmete.
    »Ich wußte also, daß ich mein Glück herausforderte, aber ich sagte zu Neal: ›Gehen wir! Gib mir die volle Flasche und gehen wir.‹ Aber er antwortete: ›Nein, die kriegst du nicht.‹ Deshalb sagte ich: ›Okay, ich habe fünf Liter, gib mir deine fünf dazu, und nichts wie weg hier.‹ Damit war er einverstanden, aber wir gingen keinen Schritt weiter.«
    Von nun an hielt Adams unausgesetzt Ausschau nach einem der Sherpas, die die zusätzlichen Flaschen heraufschleppten. Sein einziger Gedanke war: »Wann wird endlich alles richtig laufen?« Das sollte allerdings noch eine Weile dauern.
     
    Kurz vor dem Südgipfel ließ ich Tim Madsen am Fixseil

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