Der Gipfel
gebracht!«
Fischers Entscheidung, Kruses Geld zu nehmen und ihn zur Teilnahme zu ermutigen, sieht Todd nicht so eng. »Man weiß nie, wer eine gute Leistung bringt und wer nicht. Es kann vorkommen, daß die besten Bergsteiger versagen, während andere, schwächere, es aufgrund ihrer Ausdauer schaffen. Das ist mir oft passiert. Es war jemand dabei, von dem ich dachte, wenn einer versagt, dann der, und dann ist er wie eine Eins den Berg hinauf. Das erlebte ich auf der Tour, die ich 1995 mit Anatoli machte. Mein stärkster Teilnehmer schaffte es nicht, und einer, den ich als schwach eingeschätzt hatte, war noch vor Anatoli auf dem Gipfel.« Aber Todd meinte auch: »Eine falsche Auswahl vor dem Aufbruch kann einen selbst und andere das Leben kosten. Man muß auf jeden Fall die richtigen Leute aussuchen. Da darf kein Irrtum passieren.«
6 Der typische Weg, einen Neuling seine Sporen verdienen zu lassen. Auch Boukreevs Bergführerkarriere hatte so begonnen.
7 Fischer war hinsichtlich Kruses Eignung gelassener, da er die Meinung vertrat, der Gipfel sei nicht alles. Auf dem Berg zähle jede Leistung.
5. Kapitel Der Weg zum Everest
Am 13. März flog Boukreev von Alma-Ata nach Delhi und weiter nach Kathmandu, wo er am 15. März eintraf. Die Ankunft weckte in ihm zwiespältige Gefühle. Einerseits freute er sich, weil von hier die Expedition ihren Ausgang nehmen sollte. Gleichzeitig aber brachte ihm das Wiedersehen mit der Stadt, die im Lauf weniger Jahre aus einem abgelegenen Nest zu einer Großstadt mit einer halben Million Einwohner angewachsen war, die Problematik dieses Booms zu Bewußtsein.
Die Luft Kathmandus, versetzt mit Staub und Dieselauspuffgasen, reizt die Lungen und kann Erkrankungen der Atemwege auslösen. In den Restaurants und Garküchen handelt man sich nicht selten Verdauungsprobleme ein. All das beeinträchtigt das Leistungsvermögen eines Bergsteigers, egal, ob männlich oder weiblich. Wer also nach Nepal kommt, um den Everest zu besteigen, hat schon seine erste große Leistung vollbracht, wenn er Kathmandu gesund verläßt.
Kaum in Kathmandu angekommen, traf Boukreev sich mit Henry Todd, um über die Sauerstofflieferung zu sprechen, aber Todd mußte zu seinem Ärger eingestehen, daß er nicht liefern konnte. Der Sauerstoff war schon vor Wochen in St. Petersburg auf einen Laster verladen worden. Die Fracht sollte nach Amsterdam und von dort mit dem Flugzeug nach Kathmandu gehen. »Der Laster wurde in Rußland angehalten, weil für ein anderes Frachtstück, das nichts mit uns zu tun hatte, die erforderlichen Papiere fehlten. Anstatt das betreffende Teil aus dem Container zu holen, hat man alles zurück behalten«, lautete Todds Erklärung.
Todd wußte nur, daß der Sauerstoff, den er für Fischer und einige andere Expeditionen geordert hatte, an einer russischen Grenzstation festsaß. Man hatte ihm zugesichert, daß die Fracht »jederzeit« – also irgendwann und nicht an einem bestimmten Tag – weitergeleitet würde. Boukreev war verärgert. Sauerstoff konnte man nicht in jedem beliebigen Laden in Kathmandu kaufen. Das Sauerstoffproblem blieb ihnen also erhalten. Und es sollte noch größer werden.
Todd beruhigte ihn. Er hatte den Deal abgeschlossen und würde liefern. Falls der Sauerstoff nicht rechtzeitig eintreffen sollte, würde er schlimmstenfalls den Vorrat seiner eigenen Expedition hergeben, der bereits angekommen war.
Am 22. März traf Fischer in Kathmandu ein, um sich mit Boukreev und P. B. Thapa zu treffen. Sofort wurde er mit der Sauerstoffmisere konfrontiert, ließ sich aber durch Todds Zusagen, für die Ladung geradezustehen, beschwichtigen. Dann präsentierte Boukreev ihm noch eine schlechte Nachricht. Auch das Höhenzelt, das nach seinen Angaben im Ural angefertigt worden war, war noch immer in Rußland. Der Charterflug einer russischen Himalaja-Expedition, die das Zelt hätte mitbringen sollen, war verschoben worden. Und die Mountain-Madness-Gruppe sollte in vier Tagen eintreffen!
Am Abend lud Scott mich zum Essen ein. P. B. Thapa und zwei Sherpas, die Scott für die Expedition angeworben hatte, Ngima Kal und Lopsang Jangbu, leisteten uns Gesellschaft. Ngima (Neema) sollte als Sirdar für das Basislager mitkommen, wo er für Träger, Küchenpersonal, Proviant und allgemeines verantwortlich war. Lopsang war Sirdar der Klettergruppe, dem die Hochträger unter stellt waren, die uns beim Gipfelsturm begleiten und auch als Führer unterstützen sollten.
Boukreev freute sich,
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