Der Gipfel
weiterging, würde die eiserne Reserve rasch zusammenschmelzen. Petes Ausdauer und Energie nötigten Bo kreev Respekt ab, konnten aber seine Bedenken hinsichtlich seiner Kondition nicht ausräumen. Boukreev hoffte, Fischer würde ihm nach diesem Abstieg von weiteren Aufstiegen dringend abraten.
Etwa fünfzig bis hundert Meter nach der Begegnung mit dem Toten erreichten wir den Anfang der Fixseile, wo die Route über die vereiste Lhotse-Flanke steiler anstieg. Neal schlug vor, wir sollten unsere eigenen Seile hier zurücklassen und ins Lager II zurückkehren, da die Gruppe ohne Steigeisen und Eisausrüstung trotz der Fixseile nicht ausreichend gesichert aufsteigen konnte. Ich schaute auf die Uhr und sagte, daß ich allein weitergehen und bis Lager III Seile anbringen wolle.
Ich holte aus meinem Rucksack Steigeisen, Klettergürtel und einen Jümar und nahm auch Neils Seilrolle mit. Als ich mich am Fixseil einhängte, um meinen Anstieg zu beginnen, machte Neal kehrt und begleitete die Gruppe hinunter, die nach der morgendlichen Mattigkeit wieder ganz munter geworden war. Ich machte mir keine Sorgen um ihre Sicherheit, da ich sie bei Neal gut aufgehoben wußte, außerdem war das Wetter schön und der Weg markiert. Ein wenig beneidete ich sie um ihr Essen in Lager II, andererseits war ich froh, durch Arbeit in dieser Höhe meine Kondition noch mehr verbessern zu können. Ich wußte aus Erfahrung, daß sich schwere Arbeit in ungewohnter Höhe vor dem Abstieg und einer Ruhephase bei einem neuerlichen Aufstieg sehr positiv auswirkt.
In einer knappen Stunde kam Boukreev bis auf 6990 Meter, bis zu dem Punkt, wo die von den Sherpas des Vorausteams angebrachten Fixseile endeten. Er zog sein Seil aus dem Rucksack und machte sich an die Arbeit. Nach eineinhalb Stunden waren die Seile, die er und Beidleman mitgenommen hatten – insgesamt über zweihundert Meter – bis auf 7100 Meter ver legt. Obwohl er noch gut in Form war, begann er gegen sechzehn Uhr den Abstieg, da er den Khumbu-Eisbruch noch vor Einbruch der Dunkelheit hinter sich bringen wollte.
Mit seiner Arbeit war er sehr zufrieden, da ihm daran lag, daß die Gruppe in wenigen Tagen ohne Verzögerungen an den Seilen bis zum Lager III aufsteigen konnte, sobald sie sich von ihrem ersten Ausflug ins Lager II erholt hatte. Das Fenster für den Gipfel stand – wenn überhaupt – vielleicht nur einen Tag offen. Aber auch wenn es eine ganze Woche offen blieb, hatte man nichts davon, wenn die Kunden nicht fit waren. Sie mußten weiterhin an ihrer Akklimatisation arbeiten, und um höherzusteigen, brauchten sie die Fixseile.
Es war ein leichter Abstieg. Die Distanz von 7100 auf 6500 Meter legte ich in einer Stunde zurück. Wie erwartet, waren Neal und die Gruppe schon aufgebrochen, doch herrschte noch immer Betriebsam keit, da die Sherpas damit beschäftigt waren, das Lager noch besser zu sichern. Gyalzen, unser Koch, begrüßte mich und bot mir einen Imbiß und heißen Tee an, und nach einer kurzen Rast setzte ich meinen Rückweg fort und traf um halb sechs im Basislager ein. Ich setzte mich zu unseren Leuten ins Essenszelt und wechselte ein paar Worte mit Scott und Neal. Dann ging ich zu meinem Zelt, da mich mein Arbeitspensum doch sehr ermüdet hatte und ich mich auf die bevorstehenden Ruhetage freute.
Am gleichen Abend gab Sandy Hill Pittman ihren Bericht vom 19. April an NBC durch. Sie schilderte die Begegnung mit dem von Boukreev entdeckten Toten und sagte: »Diese Entdeckung war das makabre Ende eines ansonsten erfolgreichen Auf stiegs.«
Am Morgen des 20. April verspürte Boukreev »kein besonderes Verlangen«, aus dem Schlafsack zu kriechen, auch nicht, als es schon acht Uhr war und die Sonne auf sein Zelt schien. Nach einer Tasse Kaffee, die ihm ein Sherpa brachte, ließ er sich Zeit und genoß den Müßiggang nach der Tour und der Arbeit des Vortages. In einer Anwandlung von Pflichtgefühl riß er schließlich den Reißverschluß seines Schlafsacks auf, schlüpfte in seine Sachen und lief zum Essenszelt.
Die meisten hatten schon gegessen und saßen vor dem Zelt in der Sonne und plauderten. Als auch ich mich nach einem raschen Frühstück in die Sonne setzte, sah ich, daß Scott Anstalten machte, mit Pete Schoening zum Lager II aufzusteigen, da dieser einen erneuten Versuch wagen und oben übernachten wollte. Scott wirkte müde und schien wenig begeistert von der bevorstehenden Tour. Ich hatte den Eindruck, daß ihn die logistischen Probleme, mit denen er
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