Der Gipfel
ankam. Ich schilderte ihnen Kruses Schwierigkeiten. Sie hätten sich das ohnehin gedacht, sagten sie, und Scott meinte: ›Okay, damit ist er weg vom Fenster.‹ Ich sagte noch: ›Moment mal, nicht so schnell, warte bis Tim und Charlotte da sind und einen Lagebericht liefern.‹ Die beiden kamen dann und sagten dasselbe wie ich. Scott und Neal machten also kehrt, um Kruse beizubringen, daß er absteigen mußte.« Fischer, der nicht wußte, wie weit Boukreev gekommen war, und auch nicht Kontakt zu ihm aufnehmen konnte, da er ihm kein Funkgerät mitgegeben hatte, stieg verärgert ab. Wieder ein Abstieg! Alle Entfernungen zusammengerechnet, die er in den letzten Wochen zurückgelegt hatte, hätte er den Berg dreimal besteigen können.
Als ich den Eisbruch hinter mir hatte und über das Plateau des Western Cwm hinaufging, sah ich Scott und Dale Kruse auf mich zukommen (Beidleman war zum Lager II zurückgekehrt). Dale war in keiner guten Verfassung, und Scott schien angespannt und ziemlich mißmutig. Da ich sah, daß er unter Streß stand, und der Meinung war, sein Platz sei jetzt beim Team, bot ich an, Kruse zu begleiten, aber Scott sage, er wolle es lieber selbst tun.
Während ihrer kurzen Begegnung versuchte Boukreev Fischers Verfassung einzuschätzen. Aus welchem Grund auch immer er Antibiotika genommen hatte, die Schwierigkeiten schienen überwunden. Scott wirkte in keiner Weise beeinträchtigt. Als sie sich trennten, blickte Boukreev das Western Cwm hinauf. Der Himmel hatte sich dramatisch verändert und schien in Flammen zu stehen, so intensiv waren die Rot- und Purpurtöne – mögliche Vorzeichen für einen Wetterumschwung. Er befürchtete eine Wiederholung von Scotts Erlebnis in Lager II: starke Winde, die ihr vorgeschobenes Basislager zerstören konnten. Das hätte einen Rückzug ins Basislager bedeutet, um zu warten, bis die Sherpas das Lager II wieder aufgebaut hätten. Das wäre eine weitere Verzögerung gewesen.
Gegen siebzehn Uhr dreißig, als Boukreev Lager II erreich te, saßen die anderen schon beim Abendessen. Unten hatte Fischer mit Kruse das Basislager erreicht. Laut Pete Schoening, der von sich aus bereits auf den Gipfel verzichtet hatte, »war Fischer springlebendig, trank ein Bier und wollte auch Dale eines anbieten.« Dr. Hunt fiel nichts auf, was Anlaß zu Besorgnis um Fischers Gesundheit gegeben hätte. »Er war wie immer. Ich sah kein Anzeichen dafür, daß er krank war.«
Zu Boukreevs Verwunderung und Erleichterung war das Wetter am 7. Mai ruhig und windstill, und die Temperatur, die in der Nacht bis auf minus 15 Grad gefallen war, stieg stetig und wärmte die Zelte. Während die Gruppe die relative Wärme genoß, durchstieg Fischer zum x-ten Mal den Eisbruch. Sein Zustand, am Tag zuvor im Basislager noch zufriedenstellend, verschlechterte sich auf einmal rapid.
Unweit des oberen Eisbruchendes traf er an den Fixseilen Henry Todd von Himalayan Guides. Zehn Jahre älter als Fischer und seiner eigenen Aussage nach am Berg viel langsamer, staunte Todd nicht schlecht, als er sah, daß sie mit gleicher Geschwindigkeit aufstiegen. »Normalerweise flitzte er einfach hinauf«, sagte Todd.
»Verdammt«, sagte Todd zu Fischer. »Was treibst du hier unten? Deine Leute steigen zum Lager III auf. Du etwa nicht?« Fischer konnte nicht antworten, da er husten mußte, »heftig husten«.
»Er sagte, er hätte Dale hinunterbringen müssen. Ich wandte ein: ›Aber Dale war doch schon länger krank. Warum hast du ihn nicht mit jemand anderem hinuntergeschickt?‹ Und er sagte: ›Der Mann war in Tränen, ich wollte nicht, daß Anatoli oder Neal oder einer der Sherpas das übernimmt. Er ist mein Freund.‹«
Todd erinnerte sich: »Er (Fischer) hatte sich total verausgabt. Ich merkte ihm an, daß er nicht auf der Höhe war.« Das allein war schon beunruhigend genug, aber noch erschrecken der war Fischers abschließende Bemerkung: »Die Leute machen mir Sorgen. Die ganze Situation macht mir Sorgen.«
Am Abend war Scott wieder bei uns und erzählte im Essenszelt erleichtert, daß Dale wohlbehalten unten angekommen sei. Die ganze Tour sei nun für Dale gelaufen. Dieses Problem war ja nun gelöst, geblieben jedoch war Scotts Sorge um unseren Sauerstoffvorrat und um einige Kunden. Wir besprachen diese Punkte. Ich fragte, ob es möglich sei, daß ich eventuell mit Sauerstoff gehe, falls ich mich dazu entschließen sollte. Er entgegnete, daß ich einen guten Eindruck mache und vermutlich nichts brauchen
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