Der Gipfel
überwanden. Nun verlor sie die Stirnlampe aus den Augen, die einer aus ihrer Gruppe trug. »Meine einzige Hoffnung war, mich nun an einen anderen zu halten, und als ich wieder ein Licht sah, rief ich: ›Hallo, hallo‹. Es war Tim.«
Madsen, der hinsichtlich Kraft und Ausdauer mit den ande ren hätte mithalten können, die einen Vorstoß zum Lager unternahmen, hatte sich selbstlos entschlossen, bei Charlotte Fox zu bleiben. »Ich hatte Charlotte auf dem Arm, am Kopf, auf dem Rücken, wo auch immer, und ich konnte nicht sehen, wohin ich ging. Ich hatte auch nicht die Kraft, sie ins Lager zu zerren oder zu tragen. Sie wollte nicht gehen, deshalb setzten wir uns kurz hin. Dann hörte ich zehn, fünfzehn Meter hinter uns ein Stöhnen – es war die Japanerin. Ich ging zurück und schleppte sie zu Charlotte. Mike (Groom) war immer noch an Beck (Weathers) angeseilt. Auch Beck tat sich mit dem Gehen sehr schwer.
Da ich annahm, daß Mike noch einigermaßen bei Kräften war, sagte ich zu ihm, daß er mit den anderen ins Lager gehen und Hilfe holen müsse. Wir würden uns nicht vom Fleck rühren, in der Hoffnung, jemand würde uns holen kommen. Wir waren zu fünft, nachdem auch Sandy zurückgekommen war – ich, Sandy, Charlotte, die Japanerin, und Beck. Wir versuchten nun dasselbe, was wir zuvor in der größeren Gruppe gemacht hatten: uns zusammenzukauern, wachzubleiben und einander zu wärmen. Wie spät es war, weiß ich nicht.«
34 Krakauer, der Adams für Andy Harris, einen von Rob Halls Führern, hielt, forderte ihn zur »Hilfeleistung« auf, wie Adams sagte.
35 Im Tonbandprotokoll vom 15. Mai 1996 gab Adams an, er sei gegen einundzwanzig Uhr in Lager IV eingetroffen. In demselben Protokoll sagt Dr. Hunt, sie hätte per Funk erfahren, Adams sei um zwanzig Uhr dreißig gekommen.
Lager IV 7900m) auf dem Südsattel.
(Foto © Anatoli Boukreev)
Der Mount Everest vom Lhotse aus gesehen.
(Foto © Anatoli Boukreev)
10. Mai 1996: Anatoli Boukreev hält auf den Fuß des Hillary Step zu, um Fixseile anzubringen.
(Foto © Neil Beidleman)
l0. Mai 1996: Anatoli Boukreev (links) und Martin Adams (rechts) mit der Flagge von Kasachstan auf dem Gipfel des Mount Everest.
(Foto: Archiv Anatoli Boukreev)
10. Mai 1996: Klev Schoening nähert sich dem Everestgipfel. (Foto © Anatoli Boukreev)
10. Mai 1996: Doug Hansen (in Rot) von Adventure Consultants knapp unterhalb des Everestgipfels; Mike Groom, Bergführer von Adventure Consultants (in Gelb) im Abstieg. (A) Südgipfel; (B) Felsnische unterhalb des Südgipfels. von Mountain Madness und Adventure Consultants als Reservelager für Sauerstoff benutzt; (C) oberes Ende des Hillary Step; (D) Krakauer stolpert an dieser Stelle. Mike Groom und Andy Harris helfen ihm auf die Beine. Am 23. Mai 1996 wird hier Harris Eisbeil gefunden. (Foto © Neil Beidleman)
Lager IV am Südsattel; von der Anstiegsroute aus gesehen. (A) Zelte, Lager IV; (B) hier treffen Martin Adams und Jon Krakauer aufeinander; (C) Kangshung-Flanke; (D) Boukreev findet hier Pittman, Namba, Fox und Madsen; (E) In den frühen Morgenstunden des 11. Mai 1996 bricht Beck Weathers an dieser Stelle zusammen. (Foto © Anatoli Boukreev)
19. Kapitel Das Rettungs-Protokoll
Lene Gammelgaard erinnerte sich, daß ursprünglich sie und Schoening es waren, die den Versuch unternehmen wollten, das Lager zu finden. »Klev und ich blieben immer zusammen. Neal ging herum, mal hierhin, mal dorthin. Ich wußte zwar nicht, wo das Lager war, aber ich dachte, okay, ebensogut kann ich mich auf Klev verlassen, die Chance ist genau so gut wie jede andere. Dann sah ich ein Licht, ergriff die Initiative und sagte zu Klev: ›Das ist ein Licht vom Lager. Wir müssen uns links halten. Dort ist es!‹ Wir gingen in diese Richtung, und es stellte sich heraus, daß es Anatolis Stirnlampe war.«
Wie alle anderen war Lene an der Grenze zur totalen Erschöpfung. Allein das Hochgefühl, überlebt zu haben, hielt sie noch aufrecht. »Boukreev sah mich nur an, und es war kein Wort nötig«, sagte sie. »Als er sich nach meinen Steigeisen bückte, wußte er, wie ernst es war.«
Von diesem Punkt an diktierte Anatoli Boukreev seinem Co-Autor Weston DeWalt kurz nach seinem Eintreffen in den Vereinigten Staaten den Ablauf der Ereignisse, wie er sie in Erinnerung hatte. Um die Authentizität seines Berichts zu gewährleisten, werden die Antworten Boukreevs, die er auf Englisch und ohne Dolmetscher formulierte, originalgetreu wiedergegeben. Die Kommentare
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