Der Gipfel
daß du hinauf mußt.« Warum, wohin, muß ich hinauf oder nicht? Und ich bin für Leben verantwortlich. Ich verstehe so – vorher hoffte ich, daß alles okay ist, daß die Leute Führer haben, Sherpas, wahrscheinlich auch noch Sauerstoff, es ist okay, nur keine Sicht. Und jetzt diese Situation, die Leute kommen, vielleicht erfroren. Und alle Nachrichten kommen für mich sehr rasch. Ich rege mich sehr rasch auf. Und ich kriege diese Kraft von Aufregung.
DeWalt: Adrenalin?
Boukreev: Ja, das ist das Wort.
In seinem ersten Gespräch mit Klev Schoening hatte Boukreev erfahren, er brauche nicht den Berg »hinauf«, sondern nur den Südsattel zu »queren«. Da er nun vom normalen Abstiegskurs abgekommen war, wollte Boukreev das Gehörte überprüfen. Während Boukreev mit Lene und Klev sprach, um möglichst genaue Angaben von ihnen zu bekommen, kam Pemba in Boukreevs Zelt und sagte, Lopsang sei mit der Nachricht zurückgekehrt, er hätte vor einigen Stunden Scott Fischer knapp unterhalb des Balkons zurücklassen müssen. Ohne Sauerstoff, im Delirium, an den Symptomen eines Gehirnödems leidend, hatte sich Fischer ohne Lopsangs Hilfe nicht mehr bewegen können. Lopsang hatte trotz heldenhafter Bemühungen Fischer nicht herunterschaffen können. Der Sherpa, der für seinen Freund verzweifelt Hilfe suchte, wollte, daß Boukreev zu Fischer aufsteigen und ihm Sauerstoff und heißen Tee bringen sollte. Boukreev war nun total konfus durch diese einander widersprechenden Informationen, die ihm die Leute in ihrer durch Sauerstoffarmut und Erschöpfung bedingten Benommenheit lieferten. War Fischer bei der Gruppe? Befanden sie sich an derselben Stelle? Welchen Punkt am Südsattel sollte er ansteuern? Hinauf oder hinunter oder queren? Er versuchte sich ein klares Bild zu verschaffen.
DeWalt: Hast Du mit Lopsang gesprochen?
Boukreev: Pemba sagte, Lopsang kam und sprach mit uns, und ich springe aus dem Zelt und frage mich, wo ist Lopsang? Ich weiß nicht. Ich gehe ins Zelt, wo Neal ist. Neal hat Kollaps. Ich helfe ihm ein wenig und dann höre ich vor dem Zelt Stimme von Lopsang: Er sagt: »Anatoli, du mußt hinaufgehen.«
DeWalt: Du hast ihn nicht gesehen? Er hat dir aus seinem Zelt zugerufen?
Boukreev: Ja, ja. Nur – »Anatoli, du mußt hinaufgehen.« Und ich weiß jetzt, daß Scott in schwieriger Situation ist.
DeWalt: Was hast du dann gemacht?
Boukreev: Ich gehe ins Zelt und sage wieder: »Lene, Klev, muß ich hinauf oder muß ich über das ebene Stück?« Sie sagen: »Nur über das große flache Stück.« »Ist dort Scott?« frage ich. »Nein, Scott nicht.« Jetzt wird mir langsam alles klar. Scott ist am Berg, die Gruppe ist unten, an verschiedenen Stellen.
DeWalt: Und anschließend bist du ins Zelt, ins Sherpa-Zelt, und hast Sauerstoff geholt?
Boukreev: Ich ging zu Lopsang und sagte: »Lopsang, du mußt mit mir gehen, einige von unseren Kunden sind vielleicht tot, wir müssen die Leute tragen.« Und ich habe ihn nicht gesehen. Wieder sagte er: »Anatoli, du mußt hinauf, Scott sagte, er wartet auf dich, er schätzt dich, er erwartet, daß du ihm hilfst. Du mußt Sauerstoff und heißes Getränk bringen.«
DeWalt: Er antwortete nicht, er redet nur so vor sich hin?
Boukreev: Er sagt, was ihm durch den Kopf geht. Er versteht nicht, was ich sage, er hört nur meine Stimme und sagt mir genau was – dasselbe, Wiederholung. Und ich muß fünf Leute finden – und bin nur einer. Ich gehe in sein Zelt, das Sherpa-Zelt. Ich frage Pemba nach Sauerstoff. Und ich verstehe nun nach dem zweiten Gespräch mit Lene, was mit Beck Weathers und Yasuko Namba ist. Und ich frage: »Okay, Pemba, du mußt Sauerstoff für mich auftreiben. Ich gehe in ein anderes Zelt, in Rob Halls Zelt, vielleicht wird mir dort jemand helfen.« Und ich gehe zu anderem Zelt – eines von Rob Halls Expedition, mache eine Klappe auf und versuche es. »He, kann mir jemand helfen?« Keine Antwort. Ich sage: »Yasuko Namba, Beck Weathers brauchen Hilfe – jemand – kann mir jemand helfen?« Keine Antwort. Anderes Zelt. Das selbe. Wieder anderes, auch dasselbe. Und dann gehe ich hinein – ich sah ein Sherpa-Zelt von Rob Hall. Ich mache auf, und jemand spricht mit mir. Und ich sage: »Yasuko Namba und Beck Weathers brauchen Hilfe. Jemand von eurer Expedition soll mit mir gehen und ihnen helfen.« Und ich sage: »Okay, macht euch bereit.« Dann gehe ich zum Zelt der Taiwanesen – niemand. Keine Antwort.
Lopsang hatte Scott Fischer ein Versprechen gegeben, als er ihn
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