Der Gipfel
genau dasselbe Modell zulegte.
Was die Frage des Sauerstoffs betraf, stand Boukreev eben so vor einem Rätsel wie bei der Frage bezüglich seiner Kleidung.
Seit über fünfundzwanzig Jahren habe ich viele Berge bestiegen. Sauerstoff habe ich nur einmal bei einem Achttausender benutzt. Es war für mich nie ein Problem, und Scott war einverstanden, daß ich ohne kletterte.
Höchst dramatisch schildert Krakauer außerdem seine Begegnung mit Andy Harris, einem von Rob Halls Führern, ober halb von Lager IV, wo er mit ihm über die Gefährlichkeit eines Eishangs zwischen ihnen und dem Lager diskutierte. Harris sei ausgerutscht und den Hang hinuntergeglitten, berichtet Krakauer, und dann vermutlich über die Lhotse-Flanke ge stürzt und für immer verschwunden. Adams, der stumm lauschte, als dieser Abschnitt vorgelesen wurde, meldete sich nun mit sarkastischem Unterton zu Wort: »Das war ich. Das war ich, den er oberhalb von Lager IV sah, und ich war es, der mit ihm gesprochen hat.«
Ein paar Wochen, ehe Adams nach Santa Fe gekommen war, hatte Krakauer ihn angerufen und Mutmaßungen dar über angestellt, ob es Adams und nicht Andy Harris gewesen sein könnte, dem er bei seinem Abstieg oberhalb von Lager IV begegnet war. Adams legte auf und las noch einmal ein Interview durch, das Krakauer kurz nach der Katastrophe gegeben hatte. Nachdem er Krakauers Beschreibung überdacht und seine eigene Erinnerung zu Rate gezogen hatte, kam Adams zu dem Schluß, daß Krakauer sich geirrt haben mußte. Er rief ihn zurück und sagte, er sei nun überzeugt, daß die Person, der Krakauer oberhalb von Lager IV begegnet war, nicht Andy Harris, sondern er gewesen sei. Als Krakauer ihm das nicht so recht abnehmen wollte, sagte Adams: »Wetten wir, neunundneunzig zu eins, ich war es.« Laut Adams verlangte Krakauer weitere Beweise und ging auf die Wette nicht ein.
Obgleich durch den Artikel wie vor den Kopf geschlagen und gekränkt, überwog bei Boukreev Ratlosigkeit. Welches Motiv konnte Krakauer haben, ihn so hinzustellen? Boukreev hatte Krakauer eine Kopie der Antworten auf Wilkinsons Fragen gegeben, die auch eine Erklärung für seinen vorzeitigen Abstieg enthielt. Hatte Boukreev Krakauers Fragen miß verstanden?
Oder hatte Krakauer ihn mißverstanden? Als Outside Boukreev Anfang Juni eingeladen hatte, um die eventuelle Verwendung einiger seiner Expeditionsfotos zur Illustration von Krakauers Artikel zu besprechen, hatte er der Redaktion eine Kopie desselben Wilkinsons-Interviews überlassen.
Laut Boukreev hatte bei Outside niemand mit ihm die Einzelheiten seines Gesprächs mit Scott Fischer oberhalb des Hillary Step oder die Frage seiner Bekleidung am Gipfeltag überprüft. Am 31. Juli schrieb Boukreev mit Hilfe von Freunden einen Brief an Mark Bryant, den Herausgeber von Outside.
31. Juli, 1996
Mr. Mark Bryant
Herausgeber Outside Magazin
400 Market St.Santa Fe, New Mexiko 87.501 USA
Sehr geehrter Mr. Bryant,
ich schreibe an Sie, weil ich glaube, daß Jon Krakauers Artikel »In eisige Höhen«, der in Ihrer Septemberausgabe von 1996 erschien, meine Entscheidungen und mein Vorgehen am 10. Mai 1996 am Mount Everest einer ungerecht fertigten Kritik unterzieht. Während ich Mr. Krakauer Respekt entgegenbringe, einige seiner Ansichten über das Verhalten von Bergführern in extremer Höhe teile und glaube, daß er alles in seiner Macht Stehende getan hat, seinen Gefährten an jenem tragischen Tag am Everest zu Hilfe zu kommen, glaube ich doch, daß seine Distanz zu gewissen Ereignissen und seine begrenzte Höhenerfahrung einer objektiven Bewertung der Ereignisse am Gipfeltag im Weg stehen. Meine Entscheidungen und mein Vor gehen gründen auf über zwanzigjähriger Erfahrung im Höhenbergsteigen. Ich war dreimal auf dem Mount Everest und habe zwölfmal Gipfel über 8000 Meter bestiegen. Zu meinen Gipfelsiegen gehören sieben der vierzehn Acht tausender, und alle habe ich ohne Zuhilfenahme von zusätzlichem Sauerstoff bewältigt. Da diese Erfahrung aber die von Mr. Krakauer aufgeworfenen Fragen nicht hinreichend beantwortet, führe ich ergänzend folgende Einzelheiten an.
Nachdem ich die Seile angebracht und die Spur zum Gipfel ausgetreten hatte, blieb ich von dreizehn Uhr sieben bis gegen vierzehn Uhr dreißig auf dem Gipfel und wartete auf die anderen Teilnehmer unserer Gruppe. In dieser Zeit kamen nur zwei (Mountain-Madness-) Kunden auf den Gipfel, nämlich Klev Schoening, wie aus dem von mir auf genommenen Gipfelfoto
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