Der Gipfel
weiß, daß Mr. Krakauer wie ich den Verlust unserer Bergkameraden zutiefst betrauert. Wir beide wünschen, es wäre anders gekommen. Uns bleibt nur übrig, zu einem besseren Verständnis der Geschehnisse an jenem Tag beizutragen, in der Hoffnung, daß daraus eine Lehre gezogen wird, die das Risiko für alle jene verringert, die wie wir der Herausforderung der Berge nicht widerstehen können. Ich ermutige dieses Bestreben und reiche ihm meine Hand.
Mit freundlichen Grüßen
Anatoli Nikoliavich Boukreev
Brad Wetzler, Redaktionsmitglied von Outside, schreibt in seiner Antwort vom 1. August, der Brief sei zu lang, um als »Leserbrief« veröffentlicht zu werden, bot aber an, Boukreevs Erwiderung auf vierhundert Wörter gekürzt zu bringen. Boukreev lehnte ab.
2. August 1996
Mr. Brad Wetzler Outside Magazine 400 Market Street Santa Fe, NM 87.501
Sehr geehrter Mr. Wetzler,
in bezug auf ihre Mitteilung vom 1. August (beigefügt), in der Sie mich ersuchen, meine Antwort auf vierhundert Wörter zu kürzen, fühle ich mich wie Jon, als ihn die Medien belagerten. Was ich in Erwiderung auf Jons Anschuldigungen vorbringe, läßt sich nicht auf »genießbare Häppchen« reduzieren, und auf genau das würde es hinauslau fen.
Jons Kommentar zu meinem Entschluß, vom Gipfel abzusteigen, wurde geschrieben, als auf seinem Schreibtisch die Abschrift eines Interviews lag, in dem ich meine Entscheidung zum Abstieg erklärte und feststellte, daß Scott Fischer sie gebilligt habe. Dasselbe Interview befand sich in Händen der Mitarbeiter Ihrer Redaktion, welche die Fakten prüften, ehe die Septemberausgabe in Druck ging. Sicher hat Jon das Recht auf seine eigenen Spekulationen, Meinungen und Analysen, doch kann ich nicht umhin, mich zu wundern, warum er sich angesichts der ihm vor liegenden anderslautenden Information nicht die Mühe machte, mich anzurufen und die Sache zu klären. Mein Aufenthaltsort war bekannt; er hatte meine Telefon- und Faxnummer. Jons Behauptungen über meine Kleidung am Gipfeltag werden durch einen Blick auf Fotos vom Gipfeltag entkräftet. Es ist mir rätselhaft, wie er überhaupt auf diese Idee kommen konnte.
Jons Äußerungen über die Tatsache, daß ich keinen Sauerstoff benutze, sind ähnlich verwirrend. Wer die Aufstellung meiner Gipfelsiege kennt, die ich Jon übermittelte, weiß, daß ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, meine Aufstiege ohne Sauerstoff zu machen, und daß ich damit sehr gut gefahren bin. Wie in meinem Brief von 31. Juli er wähnt, war Scott Fischer einverstanden, daß ich ohne Sauerstoff ging, da meine bisherige Kletterlaufbahn und meine Leistungen für sich sprachen. Ich denke, daß mein Einsatz am 10. und 11. Mai 1996 eine Bestätigung von Scotts Vertrauen war. Betrachtet man die Kommentare in ihrer Gesamtheit, kann man sich nur wundern. Man fragt sich, warum angesichts vorliegender Beweise, die entweder das Gegenteil der Anschuldigung zeigten oder den Sachverhalt in Frage stellen, nicht alle Tatsachen überprüft oder telefonisch geklärt wurden.
In meinem Brief vom 31. Juli wollte ich keinesfalls behaupten, daß mein Vorgehen noch das eines anderen an jenem Tag auf dem Berg über alle Zweifel erhaben war. Wir alle haben das »Was wäre wenn«-Szenario immer wieder durchgespielt. Wogegen ich mich aber wehre, sind Analysen und Unterstellungen, die jeder Grundlage entbehren. Ginge es um eine Ungenauigkeit auf einer Landkarte oder um eine falsche Höhenangabe, könnte ich mich auf vier hundert Wörter beschränken. Da hier jedoch mehr auf dem Spiel steht, bitte ich Sie höflichst, dies zu berücksichtigen und den vollständigen Brief zu veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen
Anatoli Boukreev
Am 2. August antwortete Wetzler und bot Boukreev erneut an, den Brief zu veröffentlichen, um mitzuhelfen, seine »Argu mente« herauszuarbeiten und ihnen »wahrscheinlich« mehr »Durchschlagskraft« zu verleihen. Diesmal bot Wetzler Raum für dreihundertfünfzig Wörter an. Wieder lehnte Boukreev ab.
5. August
Mr. Brad Wetzler Outside Magazine 400 Market Street Santa Fe, NM 87.501
Sehr geehrter Mr. Wetzler,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben vom 2. August und Ihr Eingehen auf meine Bitte. Ihr Angebot der Veröffentlichung ist sehr großzügig, doch sehe ich keine Möglichkeit, Jon Krakauer in dreihundertfünfzig Wörtern zu antworten. Die Fragen sind sehr komplex. Es geht um Anschuldigungen, die jeder Tatsache entbehren, um Unterstellungen, um journalistische Integrität und
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