Der Gipfel
anrief. Dazu befragt, sagte seine Frau Jeannie: »Die Kinder rufen gern unsere Nummer an, nur um seine Stimme zu hören.« Der Verlust war groß und wurde tief empfunden.
Was die Mountain-Madness-Kunden betrifft, die bei ihrem Abstieg in Gefahr gerieten und nur knapp mit dem Leben davonkamen, so scheinen zwei Faktoren ausschlaggebend gewesen zu sein: ihr verspäteter Abstieg vom Gipfel und die Probleme, denen sie auf der Abstiegsroute begegneten, vor allem der Zeitverlust, als sie Yasuko Namba beistanden, einer Kundin Rob Halls, die an den Fixseilen nicht weiterkam und unmittelbar oberhalb Lager IV zusammenbrach. Das Verharren auf dem Gipfel und die Japanerin hatten die Gruppe über eine Stunde Zeit gekostet. Vom Ende der Fixseile aus, auf 8200 Meter Höhe, war Lager IV (das nur eine Dreiviertelstunde entfernt lag) einen Moment lang zu sehen, dann steckten die Kletterer wieder mitten im Unwetter. Wären sie eine Stunde früher an dieser Stelle angelangt, hätte sich die Situation ganz anders entwickeln können. Martin Adams sagte: »Die An nahme, das Unwetter hätte das Problem geschaffen, ist ein Irrtum. Nicht das Unwetter war es, sondern die Zeit.«
Was Rob Hall, seinen Führer Andy Harris und seine zwei Kunden Doug Hansen und Yasuko Namba betrifft, die alle ums Leben kamen, so konnten die anderen Teilnehmer der Adventure-Consultants-Expedition nur wenig tun, um Licht in das Geschehen zu bringen. Warum Hall mit Doug Hansen, der erwiesenermaßen erst nach sechzehn Uhr den Gipfel erreicht hatte, noch auf dem Berg blieb, ist nach wie vor rätselhaft. Jon Krakauer spekulierte, daß sein Expeditionsleiter sich vielleicht mit Scott Fischer eine Art Mutprobe geliefert habe, »wer zuerst klein beigibt«. Aber kurz nach fünfzehn Uhr muß Hall klar gewesen sein, daß von Fischers Kunden alle den Gipfel er reicht hatten und Fischer in knappem Abstand folgte. Falls es für Hall um einen Wettstreit ging, stand der Sieger lange vor sechzehn Uhr fest. Andere, darunter Teilnehmer von Halls Expedition, mutmaßten, daß Hall die Umkehrzeit bis in den Gefahrenbereich hinein ausdehnte, weil er Hansen unbedingt auf den Gipfel bringen wollte.
Was aus Harris und Hansen wurde, bleibt gleichfalls Spekulationen überlassen. Ein greifbarer Beweis – die Entdeckung von Andy Harris’ Pickel zwischen Hillary Step und Südgipfel durch das IMAX/IWERKS -Team, das am 23. Mai aufstieg – hat zu der Vermutung geführt, Harris habe bei seinem Abstieg kehrtgemacht und sei wieder bergauf geeilt, um Hall (und vielleicht Hansen) zu helfen. Dabei sei er an derselben ausgesetzten und ungesicherten Stelle abgestürzt, wo beim Abstieg auch Jon Krakauer hingefallen war, dem Mike Groom zu Hilfe kommen mußte.
Was Doug Hansen betrifft, so steht nur fest, daß Hall ober halb des Hillary Step mit ihm zusammen war, aber nicht mehr, als Hall am Südgipfel biwakierte und Nachrichten an sein Basislager durchgab. Irgendwo zwischen diesen zwei Punkten ist Hansen verschwunden.
Die Tragödie von Yasuko Nambas Tod ist vielleicht die schrecklichste, weil viel dafür spricht, daß sie vermeidbar gewesen wäre. Während sich die Japanerin knapp über Lager IV an den Fixseilen herunterkämpfte, wurde sie zu ihrem Glück von Neal Beidleman entdeckt. Er half ihr dann zusammen mit Tim Madsen bis zum Südsattel hinunter. Dort harrte sie aus, zusammen mit Beck Weathers und den anderen, die sich im tobenden Sturm zu einem »verzweifelten Haufen« zusammendrängten. Als Mike Groom, ein Führer von Adventure Consultants, mit Beidleman, Schoening und Gammel gaard den Vorstoß zum Lager unternahm, fehlte Namba und Weathers die Kraft, ihnen zu folgen. Und Groom schaffte es nicht, im Lager Teilnehmer seiner Expedition zu einem Rettungsversuch zu motivieren.
Boukreev hatte bei seinen Vorstößen in die sturmgepeitschte Dunkelheit der ersten Stunden des 11. Mai seine ganze Energie und den ganzen Sauerstoff verbraucht. Er hatte Rob Halls Leute vergebens um Hilfe gebeten. Weder er noch ein anderer hatte noch ausreichend Kraftreserven, um sich um Yasuko Namba zu kümmern. Über seine letzte Querung des Südsattels, als er Sandy Pittman ins Lager schaffte, sagte er: »Ich hatte meinen Arm voll mit Sandy. Mehr Energie hatte ich nicht. Wäre Tim nicht imstande gewesen, sich aus eigener Kraft fortzubewegen, ich hätte ihm nicht helfen können. Er wäre sehr wahrscheinlich auch ums Leben gekommen.«
Seit dieser Katastrophe wurde über die Ereignisse und die daran Beteiligten viel
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