Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Kreaturen wohl thun. Aber fragt den Kapitain; auf eigene Faust darf ich es nicht thun!« antwortete er und wandte sich dann an den Indianer.
    »Wollt Ihr nicht so gut sein und von Eurem Throne steigen, Mann? Der Löwe ist König und mag nicht gern Jemanden über sich leiden!«
    Der Angerufene machte, ohne die Lippen zu öffnen, durch eine leichte, abweisende Handbewegung bemerklich, daß es ihm hier oben ganz gut gefalle und er nicht Absicht habe, seinen Platz zu verlassen.
    »Nun gut; mir soll es Recht sein. Aber beklagt Euch nicht, wenn Euch etwas Ungemüthliches passirt!«

    Jetzt brachte man den Kapitain herbei, welcher nach einigem Zögern die Erlaubniß gab, die Käfige auf einer Seite von den Breterwänden zu befreien. Mit Hülfe der Thierwärter war dies bald geschehen, und da Forster diese Gelegenheit gleich zur Fütterung der Thiere benutzen wollte, so war den Zuschauern bald ein höchst interessantes und unterhaltendes Schauspiel geboten.
    Die Sammlung bestand aus meist wirklich prachtvollen Exemplaren, und ganz besonders war es ein bengalisches Königstigerweibchen, welches die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Das Thier war erst vor Kurzem gefangen, von Indien nach Amerika gebracht und von seinem jetziger Besitzer gekauft worden. Noch ungezähmt und in der freien Wildniß aufgewachsen, bot es einen imposanten Anblick dar und riß durch den Bau seiner gewaltigen Glieder, die urkräftige Geschmeidigkeit seiner Bewegungen und den markerschütternden Ton seiner Stimme zu lauten Ausrufen der Bewunderung hin.
    »Geht Ihr auch in diesen Käfig, Sir?« fragte einer der Umstehenden den Thierbändiger.
    »Warum nicht? Von Außen ist die Bestie nicht zu zähmen; man muß hinein, wenn man ihr Respect einflößen will.«
    »Aber Ihr riskirt dann jedesmal das Leben.«
    »Das habe ich schon tausendmal gethan und bin es also gewohnt. Uebrigens bin ich nicht unbewaffnet; ein Hieb mit diesem Todtschläger betäubt, wenn er kräftig geführt wird und richtig trifft, das stärkste Thier. Aber ich brauche ihn wenig; die Macht eines ächten und rechten Bändigers liegt wo ganz anders. Zuweilen trete ich ohne jede Waffe in die Käfige.«
    »Aber in diesen hier würdet Ihr Euch so nicht wagen.«
    »Wer sagt Euch das?«
    »Nein, das wagt Ihr nicht zu thun!« meinte, näher tretend, der Besitzer der Equipage, welcher bisher abgesondert von den Uebrigen die Käfige besehen hatte, während seine Begleiterin, sich vor den Insassen derselben scheuend, nach dem Vordertheil des Schiffes gegangen war und dort über die Sprietverkeilung hinweg in das Wasser sah, welches rauschend am Buge emporschäumte. »Ich wollte wohl tausend Dollars für meine Behauptung setzen!«
    Der Amerikaner hat eine Leidenschaft für Wetten, und wo sich ihm eine pikante Gelegenheit zu einer solchen bietet, läßt er sie sicher nicht vorübergehen.
    »Ihr seid unvorsichtig, Sir!« antwortete Forster. »Seht, wie ruhig und furchtlos der Indianer da auf dem Käfige des numidischen Löwen sitzt. Glaubt Ihr wirklich, daß ich, der Besitzer dieser Thiere, weniger Muth besitze?«
    »
Pshaw!
« (Pah!) machte der Yankee mit verächtlicher Handbewegung. »Bei diesem Menschen ist es nicht Muth, sondern Ignoranz, Dummheit. Hätte er ein Verständniß für das Gefährliche seiner Lage, so würde er bald hier unten bei uns stehen oder sich in irgend einen Winkel verkriegen. Er kennt ja den Löwen gar nicht. Diese rothen Hallunken verstehen nur, den Feind zu beschleichen und ihn dann nächtlicher Weile und hinterrücks zu überfallen. Aber einer Gefahr offen und frei in das Auge zu schauen, dazu fehlt ihnen nicht weniger als Alles.«
    Inn – nu – woh verstand jedes dieser Worte; aber die Züge seines scharfgeschnittenen Gesichtes blieben unbeweglich, und kein Glied seines Körpers rührte sich zu einer wenn auch noch so leisen Bewegung.
    »Ihr irrt Euch in dem Indianer ebenso wie in mir. Wer die Völker der Prairien so kennen gelernt hat wie ich, der hat sie zugleich achten gelernt.«
    »Macht Euch nicht lächerlich vor dieser ehrenwerthen Gesellschaft! Laßt dort nur das Stachelschwein heraus, und ich bin überzeugt, daß er, sobald er es in Freiheit sieht, sofort vor lauter Angst in den Fluß springen wird. Diese Canaillen sind ebenso feig wie sie grausam zu sein verstehen. Aber wir kommen von unsrer Wette ab.«
    »Ich halte sie. Capitain Ihr seid Zeuge!«
    »Das bin ich; aber ich werde nicht zugeben, daß Ihr zu dem Tiger geht; denn ich habe die Verantwortung,

Weitere Kostenlose Bücher