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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wenn an Deck ein Unfall passirt.«
    »Ihr werdet keinem freien Amerikaner verbieten können, mit seinem Eigenthume zu thun, was ihm beliebt. Und was den Unfall betrifft, so könnte er doch nur mir allein begegnen, und da bin ich doch wohl Mannes genug, Sir, die Verantwortung selbst zu tragen; oder meint Ihr nicht?«
    Der Kapitain war selbst Yankee genug, um nicht Interesse für eine solche Wette zu hegen, und da er mit der ausgesprochenen Warnung seine Pflicht gethan zu haben glaubte, so antwortete er:
    »Wenn Ihr die Folgen auf Euch nehmt, so kann ich Nichts dagegen haben. Thut also, was Ihr wollt!«
    »Tretet zurück, Ihr Leute!« befahl Forster und übergab dem Kapitain die mit den Todtschläger versehene Peitsche. Dann näherte er sich mit festen, sichren Schritten den Käfige und schob, das Auge groß und voll auf das Thier gerichtet, den Riegel zurück.
    Die Tigerin hatte sich im Hintergrunde des engen Raumes niedergeduckt und lag, der Kopf auf den Vorderpranken, mit an der Wand emporstrebendem Schwanze und blinzelnden Augen am Boden. Als der Bändiger sich der Thür nahte, riß sie das Auge auf und richtete es rollend auf ihn hin; dann verengte sich die Pupille immer mehr und mehr; die Tatzen wurden gekrümmt und an den Körper gezogen; der hintere Theil des Thieres erhob sich leise und fast unmerklich; in dem Augenblicke, in welchem der Riegel klang, flog ein kurzes Zittern über das weiche, schöngezeichnete Fell, und im nächsten Momente donnerte ein Entsetzen erregender Laut zwischen den Eisenstäben hervor. Forster lag mit halb aus der Schulter gerissenem Arme blutend am Boden, und das freigewordene Thier schnellte in mächtigen Sätzen über das Deck hin.
    Ein allgemeiner Schrei des Entsetzens erfüllte die Luft, und Jeder suchte sich zu retten. Es war eine Minute der größten Todesangst und Verwirrung. Die Menschen stürzten über einander den Lucken, Winkeln, Masten und Strickleitern zu, und die Thiere erhoben ein solches Geheul, daß sogar das arbeitende Keuchen der Maschine unhörbar wurde.
    Ich war wieder auf die Ballen gesprungen, welche ich vorhin verlassen hatte und blieb da oben, vor Grausen unbeweglich, stehen; denn da vorn, grad vor mir, sah ich das arme Mädchen unrettbar verloren am Regeling stehen. Die Tigerin hatte ihren Lauf grad auf sie zu genommen und duckte sich, kaum noch sieben bis acht Schritte von ihr entfernt, zum verderblichen Sprunge nieder. Das Gesicht des Mädchens war todtesbleich und starr; mit wie nach Hülfe ausgestreckten Arme stand sie da, keiner Bewegung fähig, und in der nächsten Sekunde mußte sie verloren sein.
    Da sprang mit katzenhafter Behendigkeit eine Gestalt an mir vorüber, von dem Ballen hinunter, voltigirte in weiten, raubthierartigen Sprüngen über den in der Mitte des Schiffes liegenden freien Raum hinweg an der Tigerin vorüber, packte das Mädchen mit der Linken, stützte sich mit der Rechten auf die obere Pfoste des Regelings und war im nächsten Augenblicke in den tiefen, schmutzig gelben Fluthen des Mississippi verschwunden. Es war Inn – nu – woh.
    Ein einziger Schrei, der aus allen Kehlen kam, erfüllte die Luft. War es ein Schrei der Freude oder neuen Schreckens? Niemand wußte es; denn gleich hinter den Beiden war auch die Tigerin über die Schiffsumfassung gesprungen und in den Wogen verschwunden. Alles eilte nach der Brüstung des Schiffes, um hinab zu sehen, und mit schellender Stimme kommandirte der Capitain:
    »Mann am Steuer, beidrehen. Stopp, Maschinist!«
    Eine lange Zeit, in welcher Niemand zu athmen wagte, verging. Das entsprungene Raubthier lag, die vier Pranken ruhend von sich gestreckt, auf dem Wasser und bewachte mit glühendem Augen jede Bewegung desselben. Da, kaum zwanzig Ellen von ihm entfernt, tauchte plötzlich mit raschen Stoße die Gestalt des Indianers in die Höhe, so daß er fast mit dem halben Körper über die Oberfläche des Wassers emporschoß und man deutlich sehen konnte, daß sich das jetzt ohnmächtige Mädchen mit beiden Armen krampfhaft fest an seinen Hals geklammert hatte.
    Kaum aber hatte er Zeit gehabt, Athem zu holen, so schoß die ihn erblickende Tigerin auf ihn zu. Er fuhr wieder in die Tiefe, tauchte eine Strecke entfernt wieder zum Athmen empor, ward von dem Thiere sofort wieder verfolgt und hinunter getrieben, und so währte die fürchterliche Jagd wohl fünf Minuten, welche bei diesen Verhältnissen zu fünf Ewigkeiten wurden.
    Man hatte eine Menge Taue ausgeworfen und das Fallreep nieder

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