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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gelassen; aber der schlaue Indianer wußte, daß ihm diese Vorkehrungen Nichts nützen konnten, denn noch ehe er einige Fuß hoch empor gekommen wäre, hätte ihn die Tigerin erreicht gehabt. Es gab nur ein Mittel, sich zu retten: Er mußte unter dem Schiffe hinweg tauchen, und das war gut möglich, da die Maschine stand. Hätte er um das Fahrzeug herumschwimmen wollen, so hätte das verfolgende Thier seine Absicht bemerkt, und das Emporklimmen wäre ihn dann am Backbord ebenso unmöglich gewesen, wie jetzt am Steuerbord.
    Er versuchte deßhalb, jetzt so lange als möglich auf der Oberfläche des Wassers zu bleiben, um die nöthige Luft zu schöpfen. Eine Handbewegung deutete seine Absicht an; dann verschwand er.
    »Taue über Backbord!« kommandirte der Capitän. Alles eilte auf die angegebene Seite, und wirklich dauerte es nicht lange, so erschien Inn – nu – woh über dem Wasser und ruderte auf das nächste Seil zu, welches herniederhing. –
    »
Cheer up, cheer up, come on!
« (munter, munter, vorwärts!) rief der Capitain, und in seiner Stimme klang so deutlich die größte Angst und Besorgniß, daß sich alle nach ihm umwandten.
    Ohne ein Wort zu verlieren, deutete er mit ausgestreckter Hand hinaus auf die gelben Wogen. Aller Blicke folgten der Richtung seines Armes, und Aller Lippen riefen auch sofort die ermunternten Worte, welche er soeben ausgesprochen hatte.
    In nicht gar weiter Entfernung waren drei Furchen zu bemerken, welche sich mit vehementer Schnelligkeit dem Schiffe näherten.
    »Um Gotteswillen, rasch, rasch; die Krokodile kommen!« rief es die ganze Seite des Schiffes entlang.
    »Mein Kind, mein Kind, mein armes Kind!« wehklagte der Vater des Mädchens und beugte sich mit weit aufgerissenen Augen und angstverzerrten Zügen über den Regeling hinaus.
    Inn – nu – woh hatte den Ruf vernommen. Ein einziger, rückwärts gerichteter Blick belehrte ihn über die große Nähe der neuen Gefahr, und mit beiden Armen zugleich schnellte er sich mit fast herkulischer Kraft an dem Taue empor. Da er das Mädchen nicht halten konnte, war es ein Glück, daß die Ohnmacht ihr die Arme fest um seinen Nacken legte, und noch hatte er kaum den dritten Theil der Deckhöhe erklommen, so hörte er unter sich einen dumpfen Laut, als ob zwei Balken zusammengeklappt würden. Das erste der Krokodile hatte die Seite des Schiffes erreicht und nach ihm geschnappt. Er war gerettet. Mit ruhigeren Griffen turnte er sich vollends in die Höhe und stieg über die Brüstung auf das Deck.
    Sämmtliche Anwesenden wollten auf ihn zueilen, wurden aber von einem Rufe davon abgehalten.
    »Der Tiger, der Tiger, schaut, Leute!«
    Die Tigerin hatte den Verschwundenen gesucht und kam jetzt um das Steuer herüber nach Backbord geschwommen. Sofort eilte Alles wieder an die Brüstung, und nur der Vater blieb bei seiner ohnmächtigen Tochter zurück.
    Es war wirklich ein prächtiger Anblick, welchen die ruhigen und sicheren Bewegungen des kräftigen Thieres boten. Da plötzlich machte es einen Versuch, sich zu wenden; aber es war zu spät: drei Furchen schossen blitzschnell auf den Punkt zu, wo sich die Tigerin befand; dann erfolgte ein Brüllen so schrecklich und entsetzlich, daß sich den Hörern die Haare sträubten; das Wasser wurde zu Schaum und Gischt gepeitscht und in hochfliegenden Flocken umhergespritzt; es folgte ein tiefes, dumpfes Gurgeln und Röcheln; eine kreiselnde, trichterförmige Oeffnung bildete sich im Wasser, dessen gelbe Farbe sich in Blutroth verwandelte, und dann ward es still: die Alligatoren hatten die Tigerin in die Tiefe gezogen.
    Mit einem allgemeinen »Ah« der Erleichterung machten sich die Herzen los von der Beklemmung, welche bisher auf ihnen gelegen hatte, und dann richteten sich die Blicke auf die zwei Leute, welche eng verschlungen in der Nähe des Schornsteins standen.
    »Sie lebt noch; sie ist zu sich gekommen!« rief es von allen Seiten, und der Capitain trat hinzu, um dem erschöpften Mädchen seine Cajüte zur Verfügung zu stellen.
    Während alle Andern mit dem Indianern beschäftigt gewesen waren, hatte die Menageriewärter ihrem Herrn ein Lager bereitet und ihn nothdürftig verbunden. Es war nothwendig, ihn am nächsten Haltepunkte auszuschiffen und in ärztliche Pflege zu geben.
    Endlich fragte man auch nach Inn – nu – woh, und der Vater des geretteten Mädchens war nicht der Letzte, welcher sich nach ihm erkundigte.
    Der Gesuchte hing hoch droben in den Wantersprossen und man bemerkte, daß

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