Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Unwohlsein, Sie in Ihrem Atelier aufzusuchen, daher sandte ich Ihnen mein Billet mit dem Wunsche, Sie bei mir zu sehen.«
    »Dieser Wunsch war mir Befehl. Ich habe das Beste ausgelesen, um es Hoheit vorzulegen.«
    »So kommen Sie!«
    Sie führte ihn in das abgelegene Boudoir. Er merkte nicht, daß der Diener ihm leise durch die sammetnen Portièren folgte, und öffnete das Kofferchen. Kaum aber war dies geschehen, so erhielt er einen Schlag über den Kopf, daß er sofort besinnungslos zu Boden stürzte. Iwan beugte sich über ihn.
    »Gut getroffen! Herunter mit der Maske. Dort steht die Waschtoilette!«
    Er vertauschte die Livree im Handumdrehen mit seinem vorigen Anzug und half dann Wanka bei dem Reinigen ihres von den verschiedensten Farbestoffen entstellten Gesichtes.
    »Nun fort, und zwar schnell. Du mußt zu Deinen Kranken, um nöthigen Falls Dein Alibi beweisen zu können!«
    Sie verließen das Haus auf demselben Wege, auf dem sie es betreten hatten.
2.
Ein Deutscher
    Paulowna hatte, von ihrer Morgenpromenade zurückkehrend, die Mutter nur kurz begrüßt. Es hatte sich zwischen den Beiden, die einander doch so innig liebten, seit einiger Zeit eine Art von Entfernung eingeschlichen, welche ihren Grund in der allzu frommen Richtung der Gräfin hatte. Verwandte Herzen stehen einander wenigstens ebenso nahe als das Diesseits und Jenseits, und wer alle seine Bestrebungen hinauf zum Himmel schickt, versäumt sehr leicht seine größten irdischen Pflichten, stößt Diejenigen von sich, mit denen er in freundlicher und fruchtbarer Wechselbeziehung zu stehen hat und läuft Gefahr, entweder mißverstanden oder ein Spielball stärkerer Charaktere zu werden, welche sich bemühen, die reelle Frömmigkeit für egoistische Zwecke auszubeuten.
    Die Differenz war eine größere geworden, seit die jetzige Gesellschafterin das Haus betreten und sich ein Vertrauen bei der Gräfin erworben hatte, welches geradezu unbegrenzt genannt werden mußte. Paulowna fühlte eine unwillkürliche aber unbesiegbare Abneigung gegen das schöne, fromme Mädchen, und je mehr sich die Mutter an dasselbe schloß, desto mehr zog die Tochter sich aus dem Gesellschaftszimmer und von den täglichen religiösen Uebungen zurück.
    Auch jetzt hatte sie nur den gewöhnlichen Morgengruß ausgesprochen und sich dann in ihre Apartements zurückgezogen. Hier sollte sie nicht lange in Einsamkeit verbleiben. Das Mädchen trat ein und meldete den Baron von Felsen.
    Der Eintretende war ein junger, stattlich gebauter Mann von einnehmendem Aeußeren und gewinnenden Manieren. Er schritt auf Paulowna zu und ergriff ihre Hand, auf welche er seine Lippen drückte.
    »Grüß Gott, Comtesse! Darf ich im Vorübergehen einen guten Morgen sagen?«
    »Im Vorübergehen? Behandelt man die Freundschaft auf eine so eilige Weise?«
    »Dann soll ich wohl gestehen, daß ich nur um dieses Grußes willen auf den Flügeln der Morgenröthe herbeigeeilt bin?«
    »Nur die Wahrheit sollen Sie gestehen, Baron. Uebrigens scheinen die Flügel Ihrer Morgenröthe etwas lang zu sein. Es ist zehn Uhr; ich machte bereits einen Spaziergang und – –«
    »Und – –«
    »Und zwar unter sehr interessanten Umständen.«
    »Darf man nach diesen Umständen fragen?«
    »Der Graf suchte mich im Garten.«
    »Ah, und er fand Sie?«
    »Natürlich. Und dann – –«
    »Und dann – –«
    »Dann machte er mir den sehr ehrenvollen Vorschlag, Frau Gräfin zu werden.«
    »Nicht möglich!«
    »Nein, möglich nicht blos, sondern wirklich.«
    Der Baron war aufgesprungen. Er ergriff ihre beiden Hände und blickte ihr mit sichtlicher Spannung in die guten, ehrlichen Augen.
    »Was hast Du ihm geantwortet, Paulowna?«
    »Rathe einmal!«
    »Sage es, bitte, sage es selbst!«
    »Ich sagte ihm, allerdings in etwas anderen, höflicheren Worten, daß ich darauf verzichte, die Nachfolgerin Vieler zu werden. Ein Roué wird meine Hand niemals erhalten.«
    »Nein, niemals; dieses kleine, liebe Händchen ist bestimmt, einen ganz Anderen mit der höchsten Seligkeit zu beglücken.«
    »Du sprichst sehr bestimmt. Kennst Du ihn vielleicht, diesen Anderen?«
    »Bin ich’s doch selbst!« jubelte er, sie warm umfassend.
    »Wie kühn! Sind alle Deutschen so?«
    »Um so köstlichen Preis gewiß. Leider ist diese Kühnheit nicht zureichend, den Himmel zu erstürmen. Dein Held, Paulowna, ist auch zuweilen auf die List angewiesen.«
    »Wegen der Gesellschafterin?«
    »Wegen dieser. Auf meine Erkundigungen sind aus Petersburg heut Briefe

Weitere Kostenlose Bücher