Der Gitano. Abenteuererzählungen
eingetroffen, welche ganz übereinstimmend sagen, daß eine ganz ähnliche Person den berüchtigten Iwan Wessalowitsch bei seiner Flucht unterstützt habe und mit ihm verschwunden sei. Ich lasse Sie bewachen. Wer macht heut die Krankenbesuche?«
»Sie wechselt mit Mama zwischen diesen Besuchen und dem Gottesdienste. Mama steigt eben ein; sie fährt zur Kirche. Und – schau,« meinte sie, ihn zum Fenster ziehend, »da geht die Gesellschafterin zu ihren Kranken.«
»Ich muß Aufklärung haben. Ist sie die Betreffende, so benutzt sie jedenfalls diese Besuche, um ihre sonstigen Verbindungen zu frequentiren. Mein Diener hat sich dort in die Flur jenes Eckhauses postirt; er wird sie beobachten.«
Sie blieben am Fenster stehen und bemerkten, daß aus der Thür des angegebenen Hauses ein Mann trat, welcher der Gesellschafterin von Weitem folgte. Nicht lange darauf aber sehen Sie ihn eilig zurückkommen und langsam dann vorüberschreiten. Als er den Baron am Fenster stehen sah, gab er ein leises, für einen Dritten unverständliches Zeichen mit der Hand.
»Ich soll zu ihm kommen, Paulowna. Er hat etwas Wichtiges entdeckt.«
Ohne vorher Abschied zu nehmen, entfernte er sich schnell, eilte leisen Schrittes über den Corridor und verließ das Haus, um zu dem Diener zu stoßen.
»Was giebt’s, daß Du mich rufst, Feodor?«
»Die Dame ist in eine Seitengasse eingebogen und durch eine kleine Mauerpforte in den Garten der Gräfin zurückgekehrt.«
»Ah – dann hat sie etwas Geheimnißvolles vor. Hat sie die Pforte von innen verschlossen?«
»Ja.«
»Sie wird das Haus auf demselben Wege wieder verlassen. Komm.«
Sie gelangten bald in das Gäßchen und an die Pforte. Die Mauer war nicht hoch. Sie wurde übersprungen, und dann verbargen sich Beide in das dichte Gebüsch des Gartens.
Es verging eine geraume Zeit, ehe sie etwas Verdächtiges bemerkten. Dann ertönte das Geräusch von sich leise nähernden Schritten. Die Gesellschafterin drang durch das Dickicht, hinter ihr ein junger, schlanker Mensch mit einem Packete unter dem Arme. An der innern Seite der Pforte blieben sie stehen.
»Hast Du Alles?« frug das Mädchen.
»Alles.«
»Die Juwelen bekommt der Graf noch heut? Er setzt sie leichter in Gold und Noten um, als wir es könnten.«
»Er hat mich auf den Abend bestellt.«
»Aber wenn er uns übervortheilt?«
»Das kann er nicht; ich habe ihn im Sacke. Jetzt aber vorwärts! Du gehst vorerst; ich warte noch einen Augenblick, damit wir nicht beisammen gesehen werden.«
Er öffnete die Pforte, blickte hindurch, ob der Weg frei sei und gab ihr dann einen Wink, zu gehen.
»Morgen mußt Du in die Kirche. Ich werde neben Dir niederknieen und Dir Alles mittheilen. Adieu.«
Sie ging und er folgte ihr in wenigen Sekunden.
Kaum war er um die Ecke verschwunden, so sprangen die beiden Lauscher über die Mauer zurück und folgten ihm.
»Das Mädchen können wir lassen, Feodor; sie ist uns sicher. Ihn aber nehmen wir fest; es ist ein Diebstahl im Hause der Gräfin geschehen.«
Iwan Wessalowitsch schritt langsam die Straße dahin. Zwei Polizisten begegneten ihm; er ging furchtlos an ihnen vorüber und unterließ es auch, sich nach ihnen umzublicken. Der Baron aber hielt sie an.
»Kennen Sie mich, meine Herren?«
»Ich hatte die Ehre, den Herrn Baron bereits einmal in unserm Bureau zu sehen.«
»Gut. Sie haben von Iwan Wessalowitsch gehört?«
»Ah, was soll mit ihm?«
»Wollen Sie ihn fangen?«
»Gleich, sofort! Nur sagen Sie, wo er zu finden ist. Es ist ein Preis auf seinen Kopf gesetzt.«
»Er ist Ihnen soeben begegnet.«
»Nicht möglich! Der Herr Baron irren doch – –«
»Möglich, daß ich mich irre. Jedenfalls aber ist der Mann mit dem Packete unter dem Arme ein Dieb, welcher aus dem Hause der Gräfin von Smirnoff kommt. Ich fordere Sie auf, ihn sofort zu arretiren. Schnell, ehe er entkommt, ich verantworte es!«
Der dringenden Aufforderung eines solchen Mannes mußte unbedingt Folge geleistet werden. Die Polizisten eilten vorwärts und hatten Iwan nach einigen Augenblicken erreicht. Der russische Polizist ist außerordentlich höflich und außerordentlich unbeugsam.
»Wo kommst Du her, mein Brüderchen?« frug der Eine, dem jungen Menschen die Hand auf die Schulter legend.
»Von da her!« antwortete der Gefragte, mit ruhiger Miene nach rückwärts winkend.
»Und wo willst Du hin, mein Brüderchen?«
»Dorthin!« nickte er nach vorwärts.
»Schön, schön, meine Seele. Wir gehen auch mit
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