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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und im nächsten Augenblicke sah sie im Innern des nach dem Balkon offenen Raumes das Gesicht Wilsons erscheinen.
    Ein jäher Schreck durchzuckte sie, aber im Moment hatte sie sich wieder gefaßt, erhob den Arm und rief:
    »Wilson hinter Dir!«
    Er wandte sich um, keinen Augenblick zu früh, denn schon stand der Genannte hinter ihm und hatte das Messer zum Stoße gezückt.
    »Hülfe, Hülfe!« schrie Marga in wahrer Todesangst. Sie sah nur noch, daß die beiden Männer auf dem Altane mit einander rangen, dann sprang sie in das Zimmer zurück, die Treppe hinab, über die Straße hinüber und flog dort athemlos zu seiner Wohnung empor. Sie trat gerade in dem Momente ein, als Forster den Balkon verließ.
    »Richard, wo ist er? Ich tödte ihn!«
    Beim ersten Angriffe Wilsons war sie in Ohnmacht gefallen, hier aber zeigte sie sich über alles Erwarten muthig und geistesgegenwärtig. Der eine Kuß hatte sie verpflichtet, für den Geliebten Alles, selbst das Leben zu wagen.
    »Fort. Ein Sprung vom Altaue hat ihn gerettet, während ich ihn loslassen mußte, um das Messer zu entfernen.«
    »Du blutest! Er hat Dich verwundet! Um Gott, zeige schnell her!«
    »Es ist nichts, Marga, zwei kleine Fleischwunden. Laß mich, ich muß ihm nach!«
    »Nicht um die ganze Welt!«
    Er wollte ihr enteilen, obgleich ihn ihr Hiersein mit namenlosem Entzücken erfüllte; sie aber hing sich so fest an ihn, daß er Gewalt hätte brauchen müssen, um loszukommen.
    »Bitte, Marga, er wird mir entgehen!«
    »Laß ihn, laß ihn! Ich müßte vor Sorge sterben, wenn ich Dich so von mir ließ. Komm, entferne den Rock; laß mich die Wunden sehen!«
    Er sah, daß hier jeder Widerstand vergeblich sei, und folgte ihrem Gebote. Wilson hatte ihm einen Schnitt in die Linke und einen Stich in den Arm versetzt. Beide waren nicht gefährlich, verursachten aber eine heftige Blutung. Er blickte ihr lächelnd zu, als sie diese zu stillen versuchte und dann einen kunstgerechten Verband anlegte.
    »So,« meinte sie, als sie fertig war; »jetzt ist keine Besorgniß mehr nöthig, Du böser, lieber Mann! Aber ohne Deine Marga wärst Du ihm nachgesprungen und hättest Dich unterwegs vielleicht gar verblutet.«
    »Nein, ohne meine Marga wäre ich schon früher ein Kind des Todes gewesen, denn ohne Deinen Warnungsruf hätte mich sein Messer hinterrücks getroffen. Wie soll ich Dir danken, Du herrliches, entzückendes Wesen!«
    Er zog sie mit herzlicher Innigkeit an sich.
    »Damit, daß Du mich immer, immer so lieb behältst wie jetzt!« flüsterte sie, ihre schönen, warmen Formen zärtlich an ihn schmiegend.
    Sie war so reizend in dem leichten, duftigen Gewande, daß er für Augenblicke den Flüchtling vergaß und nur Liebe und Seligkeit von ihren Lippen trank. Doch nicht lange, so ertönten draußen Schritte und Summerland trat ein. Er machte nicht wenig erstaunte Augen, als er das Mädchen erblickte, und es wurde ihm in kurzen Worten Alles mitgetheilt.
    »Er ist hier gewesen?
Damn!
Hat er Euch bestohlen, Sir?«
    »Weiß nicht, Tim; habe auch keine Zeit mehr, darnach zu forschen. Hat er es gethan, so werde ich es schon noch bemerken. Jetzt aber müssen wir hinter ihm her.«
    »Natürlich. Aber nehmt einen Revolver mit oder so etwas Aehnliches, der Kerl darf nicht mit Seide angefaßt werden!«
    Sie verließen die Wohnung. Forster begleitete Marga bis in die ihrige und schloß sich dann dem auf ihn wartenden Gefährten an.
    »Wohin jetzt?« frug dieser.
    »Nirgends hin als wieder in mein Haus. Ich werde nach dem Dienstmädchen sehen, das mir soeben eingefallen ist. Ohne Sarah hat er nicht zu mir gekonnt; sie muß uns Aufschluß geben und das Weitere wird sich dann schon finden.«
    »
All reight,
Sir! Dieser Gedanke ist nicht schlecht, Master Wilson mag einstweilen laufen, meinetwegen bis Babylon, wo die Weiden standen, welche die sieben fetten Kühe des Königs Pharao wegfraßen, wir holen ihn doch noch ein und helfen ihm zu einem guten Stricke, das ist so sicher wie meine Mütze!«
IV.
In Mexiko
    Ein steifer Nordost wehte und schwellte die Segel der Vereinigten-Staaten-Brigg »Union,« daß sie vor dem Winde über die Wogen dahinflog, graziös zur Seite geneigt und sich den scharfen Bug mit großflockigem Gischte beschäumend.
    Sie war nach Vera Cruz bestimmt, um Farbehölzer nach Galveston zu bringen, und hatte nur zwei Passagiere an Bord, die eben jetzt an der Reiling standen und einer Tintorera zuschauten, welche seit Kurzem dem Schiffe folgte. Diese gefräßigste und

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