Der Gitano. Abenteuererzählungen
Colonel. Ich bin weder ein Spion noch sonst ein Individuum, welches gewohnt ist, mit Stricken in Berührung zu kommen, und Ihr werdet nicht weniger als ich wissen, wie man Offizieren zu begegnen hat,« antwortete der Gefangene, und seine hohe, stolze Gestalt schien bei dieser Entgegnung zu wachsen.
»Pah! Gebt Euch keine Mühe, mich mit den Regeln der Höflichkeit bekannt zu machen. Wir befinden uns nicht im Salon, und wer Blut vergießt, deß Blut wird wieder vergossen. Auge um Auge, Leben um Leben. Warum ergebt Ihr Euch einer Sache, welche die angestammten Rechte Sr. Majestät und unsere hochheilige Religion mit Füßen tritt!«
Verächtlich zuckte der Lieutenant, denn in diesem Range schien der Gefangene nach dem Abzeichen seiner Uniform zu stehen, die Achsel und wandte sich, um zu uns zu treten. Kaum aber hatte er einen Blick auf den Zigeuner geworfen, welcher, den Finger mahnend an die Lippen gelegt, in der Ecke lehnte, so trat er erschrocken einen Schritt zurück, faßte sich aber sofort wieder und fragte, zurückblickend:
»Wollt Ihr mich wirklich zu solcher Gesellschaft verurtheilen?«
»Geht nur immer zu! Sie ist ehrenwerth genug für einen Mann, dem die Kugel bestimmt ist.«
Der so Abgewiesene nahm Platz auf einem der wirr über einander liegenden Steine und versuchte, das aus seiner Wunde, die mir nicht sehr gefährlich zu sein schien, fließende Blut zu stillen. Schon beim ersten Blicke auf ihn war mir eine ganz frappante Aehnlichkeit zwischen ihm und dem Zigeuner aufgefallen, und sein Erschrecken beim Erblicken des Letzteren machte eigenthümliche Gedanken in mir rege.
War diese Aehnlichkeit wirklich nur eine zufällige, so mußten sie sich doch kennen, wie mir das Verhalten Beider bewieß, und wenn ich mir die Situation überdachte, so kam ich zu der Ueberzeugung, daß ich vor einem Ereignisse stehe, welches auch auf meine eigene Lage von Einfluß sein konnte.
Hart neben mir lag der gefesselte Mulero. Es hatte bisher geschienen, als ergebe er sich in sein Schicksal; aber jetzt bemerkte ich an seinen Mienen, daß er mir Etwas zu sagen wünsche. Deßhalb streckte ich mich lang auf die Erde und suchte mit möglichster Unbefangenheit mein Ohr so weit wie möglich in seine Nähe zu bringen.
»Stricke zerschneiden!« flüsterte er mir zu. Ich winkte bejahend mit den Augen und beschloß, ihm den Wunsch zu erfüllen, trotzdem ich mich in nicht geringe Gefahr dabei brachte.
Er wälzte sich Etwas auf die Seite, um mir Gelegenheit zu geben, zu den auf dem Rücken gebundenen Händen zu gelangen. Dabei fuhr sein Auge beobachtend über die Umgebung, und ich bemerkte, daß dabei ein Blitz freudiger Ueberraschung über sein Gesicht fuhr.
Schnell folgte ich der Richtung seines Auges und gewahrte einen Männerkopf, welcher vorsichtig hinter der eingestürzten Wand hervorlugte und mit ermunterndem Nicken sofort wieder verschwand. Das Erblicken desselben machte den Gebundenen unvorsichtig.
»
Santa maria de Ragunna,
mein Freund Diego Bonamaria! Er ist den Schuften also doch entkommen und wird uns retten,« sprach er ziemlich vernehmlich, so daß der Nächstsitzende der Wächter sofort herbeitrat.
»Was habt Ihr mit einander zu sprechen!« schalt er und fuhr, zu mir gewendet, fort: »Rückt fort von hier, dorthin an die Mauer; es ist hier nicht der Ort zum Plaudern.«
Wohl oder übel mußte ich diesem Befehle Folge leisten; kaum aber hatte ich den Platz erreicht, so vernahm ich über meinem Kopfe, wo sich eine Oeffnung in dem Umfassungsgemäuer befand, eine Stimme, deren Worte jedenfalls mir galten.
»Haltet Euch ruhig, Sennor, damit die Bandisto’s nicht merken, daß Jemand mit Euch spricht.«
Es war Bonamaria, der sich um die Ruine herumgeschlichen und diesen Ort gewählt hatte, sich uns verständlich zu machen. Ich schloß die Augen und hielt meine Gesichtszüge vollständig unbeweglich.
»Ich komme aus Tudela, wohin ich geflohen war, und wollte sehen, was aus meinem Eigenthum geworden ist. Dort liegt Martinez Campos mit seinen Schaaren und hat eine Abtheilung in die Berge geschickt, um die Gegend abzusuchen. Ich werde diese Leute aufsuchen und sie hierherführen, um Euch zu befreien und mich zu rächen. Sagt dies meinem Freunde Fernando Lunez, wenn Ihr könnt und sucht den Aufbruch zu verschieben. Addio, Sennor!«
Trotzdem diese Worte einen höchst erfreulichen Eindruck auf mich machten, suchte ich denselben doch zu verbergen. Glücklicherweise waren die Carlisten jetzt mit dem gefangenen Offiziere
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