Der Gitano. Abenteuererzählungen
Gedanken hin und her geworfen, saß ich da und zermarterte mir den Kopf mit Vermuthungen und Befürchtungen, deren Stichhaltigkeit ich doch immer wieder bezweifeln mußte. Mein auf der Mappe stehender Name, den sie bisher allerdings nur in seiner arabischen Verdolmetschung gehört hatte, konnte doch unmöglich auf die Stimmungen und Entschlüsse eines mir bis vor kurzer Zeit vollständig fremden Wesens einen so gewaltigen Eindruck haben, wie ich ihn soeben bemerkt hatte. Es blieb mir Nichts weiter übrig, als mich in Geduld zu fassen und den morgenden Tag, von dem sie ja gesprochen hatte, abzuwarten. –
Der Bruder wohnte, wie ich am andern Morgen erfuhr, in Bulakh, wohin ich mich sofort verfügte, um ihn nach so langer Zeit wiederzusehen und Zeuge seines Glückes zu sein, von welchem er mir geschrieben hatte.
Ungemeldet trat ich ein. Mit untergeschlagenen Beinen saß er wie ein echter Padischa mit würdigem Gesichtsausdrucke auf dem Divan und hob das Auge zu dem Eindringling empor. Meine von der Sonne fast schwarzgebrannten, von der Gluth der Wüste bis auf die Knochen ausgetrockneten und mit einem dichten Barte verhüllten Züge schienen ihm für den ersten Augenblick befremdlich vorzukommen, und schon wollte ich versuchen, wie lange ein Incognito zu behaupten sei, indem ich mit orientalischem Ernste grüßte:
»Salem al –« als er, aufspringend und mit ausgebreiteten Armen auf mich losstürzend, rief:
»Halt’s Maul, Goldjunge, mit Deinem Salem und rede, wie Dir der Schnabel gewachsen ist! Aber, um’s Himmelswillen, Herzensbruder, wie bist Du von der Frau Sonne mitgenommen! Wahrhaftig, ich ertappte mich auf dem wohlthuenden Gedanken, der König der sieben Indien habe einen seiner schwärzesten Mohren zu mir geschickt, um als abschreckendes Beispiel einer verbrannten Menschenschwarte Modell zu sitzen. Komm, mache Deine langen Beine krumm und lasse Dich nieder, damit man in Ruhe Deine alte, liebe, treue, ehrliche und hausbackene Physiognomie genießen kann. Doch halt, vorher muß ich Dich küssen, mein Sohn!«
Das war noch ganz der aufgeräumte, lebensfrohe und neckische Cumpan, der selbst die ernstesten Regungen seines Herzens in ein heiteres Gewand zu kleiden wußte und deshalb von Fremden oft für oberflächlich gehalten wurde, wo er doch nur zu stolz war, sein Inneres unberufenen Blicken preiszugeben. Mit beiden Händen zog er, um die rechte Stelle für den Kuß zu finden, mir den wirren Bart weit auseinander und lachte:
»Höre, Schatz, laß Dich mit diesem Mimosengestrüpp nur ja von keiner Dame sehen, sonst kannst Du Dir gar kein entschiedeneres Fiasco wünschen. Unter drei Monaten darfst Du Dich in keiner Gesellschaft attrapiren lassen, das steht bombenfest, und ich werde Dich ganz gehörig in die Wäsche nehmen müssen, um Dich ohne Blamage als meinen Bruder sehen lassen zu können!«
Es war die herzliche Freude des Wiedersehens, die ihn so sprechen ließ, und ich wußte ja, wie gut gemeint seine Worte waren, aber dennoch thaten sie mir wehe, denn er hatte mit ihnen den einzigen wunden Fleck berührt, den ich jetzt besaß. Wenn das fatale Klima meinen äußern Menschen in der Weise verschimpfirt hatte, daß selbst der Bruder so wenig Angenehmes darüber zu bemerken wußte, wie konnte ich da an eine Liebe glauben, wie ich sie von Leïlet erwartet hatte? Ich Thor! Allerdings konnte ich im Punkte der weiblichen Zuneigung wohl noch von keiner Erfahrung sprechen, aber so viel weiß doch auch der einfachste Mensch, daß die Liebe vorzugsweise gern durch das Auge ihren Einzug hält, und ich glich jetzt allerdings mehr einem Beduinen vom berühmten Stamme der Uëlad Sliman als einem civilisirten Jünger Aesculaps, der in den Heirathsstiefeln umherspaziert. Das Räthsel war mir gelöst, und zwar auf eine Weise, welche mich nicht ganz ohne Hoffnung für die Zukunft ließ.
Nachdem dem froherregten Herzen Genüge geschehen war und sich der Sturm der Gefühle gelegt hatte, nahmen wir eng neben einander Platz, um die nothwendigen Mittheilungen gegenseitig einzutauschen. Jetzt nun erst, im Laufe der ruhigen Unterhaltung, bemerkte ich den Zug schwerer Ermüdung, welcher um die eingesunkenen Augen, die eingefallenen Wangen und den schmerzlich geschlossenen Mund des Bruders lag. Seine Haltung, sonst kräftig und elastisch, war eine sichtlich schlaffe, und das vorhin so freudige Roth seiner Farbe war einer krankhaften Blässe gewichen. Er war krank – er litt – ich konnte keinen Zweifel hegen. Mit
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