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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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grüße euch, ihr himmelstrebenden Pyramiden und dich, du Stadt der Todten in der Wüste, dich, o Mokkhadam, mit deinen Bergen, dich, o Bulaky, mit deinem barkenreichen Hafen, und dich, o Fostat, mit deiner herrlichen Insel – ja, ich grüße dich, o Kahira, dich und all’ dein Volk! El salahm aaleïkum, mit euch sei das Heil!
    Lange Monate war ich ein Wanderer in der Wüste gewesen und kehrte nun zurück zur unvergleichlichsten der Städte, wo ich wieder den Spuren europäischen Lebens begegnen, den Bruder finden und die Grüße der fernen Heimath empfangen sollte. Wer Kairo kennt, der wundert sich nicht über die Begeisterung, mit welcher ich die Stadt der fünfhundert Moscheen begrüßte, als unsere Dahabïe in Alt-Kairo anlegte. Omar-Arha tanzte vor Entzücken um das Gepäck herum, und selbst Hassan, der alte Abu el Reïsahn rief ein tiefathmiges »Sallah el nebbi, preist den Propheten!«
    Wohin das Auge nur schaute, erblickte es Glück und Freude; nur Leïlet lehnte bewegungslos am Eingange zur Kajüte und ließ kein Zeichen irgend welcher Gefühlserregung bemerken. Sie war mir ein Räthsel, ein tiefes, unlösbares Räthsel, und diese Undurchdringlichkeit warf ihre schweren, dunklen Schatten bis hinein in die heiligsten und verborgensten Räume meines Herzens.
    Die Verwickelung vor dem Sahbeth-Bei war unaufgelöst geblieben. Um vielleicht von meiner günstigen Meinung profitiren zu können, hatte er mir seine Gastfreundschaft angeboten; aber ein Verweilen bei ihm konnte mir keinen Vortheil bringen, und so war ich, ohne die Entscheidung des Rechtsfalles abzuwarten, abgereist. Zwar versicherte er mir beim Barte des Propheten und den zahllosen Bärten aller Khalifen und Moslemim, daß er ein Exempel statuiren werde; aber ich war überzeugt, daß er dem Gefangenen nicht das geringste Leid zufügen, sondern ihn sobald wie möglich entlassen werde. Die Wahrheit zu gestehen, war ich herzlich froh, so leichten Kaufes aus der Verlegenheit zu kommen, die leicht eine höchst verhängnißvolle für mich hätte werden können, und drang deshalb auf die möglichste Beschleunigung unsrer Fahrt. Sie war eine glückliche in Beziehung auf den äußern Verlauf, nicht aber in Hinsicht auf den heißesten Wunsch meines Herzens, welches mit jeder Stunde höher und sehnender klopfte unter der mächtigen Regung einer Liebe, deren ich mich nie für fähig gehalten hätte.
    Stundenlang saß ich bei Leïlet und konnte mein Auge nicht wenden von den herrlichen Zügen, welche sie mir unverhüllt darbot, wenn kein Fremder in der Nähe weilte, und aus denen mir die ganze Seligkeit eines Himmels entgegenstrahlte. Aber diesen Himmel, ich durfte ihn noch nicht mein nennen. Es war nicht Muthlosigkeit oder Mangel an Selbstvertrauen, was mich abhielt, ein entscheidendes Wort zu sprechen, sondern es lag über dem ganzen Wesen des schönen Mädchens ein Etwas ausgegossen, welches sie einem rücksichtsvollen Character unnahbar machen mußte, ein
Noli me tangere,
ein Rühr’ mich nicht an, welches ich unmöglich verletzen und entheiligen konnte.
    Ich wußte es und fühlte es nur zu deutlich, daß sie sich unendlich glücklich fühle, aus den Banden Abrahims befreit zu sein, und doch sprach sich in ihren Zügen, in dem Klange eines jeden ihrer Worte eine Wehmuth, eine Unruhe und Beängstigung aus, welche mich mit stiller Sorge erfüllte. Oft schon hatte ich die Frage nach Aufklärung auf den Lippen, aber dann traf mich stets ein so innig flehender Blick des großen, tiefleuchtenden Auges, daß ich nicht anders konnte, als die Frage zurückzudrängen und die Lösung der Zukunft anheimzustellen. Und doch überraschte ich dieses Auge oft bei einem Blicke, der mit dem Ausdrucke der herzlichsten Liebe und des rückhaltslosesten Vertrauens auf mir ruhte, und nur zuweilen schien es mir, als spreche sich daneben eine unwillkürliche Theilnahme aus, welche mich mehr beunruhigte, als es eine offen dargelegte Abneigung gethan hätte.
    Gestern Abend war’s; der Mond warf sein magisches Licht hernieder auf die dunklen Berge des Mokkhadam, und silberne Reflexe zuckten über das Wasser. Die großen, hellen Sterne der südlichen Halbkugel traten so nahe zur Erde herab und die Abendluft war geschwängert von balsamischen Düften. Ich lehnte einsam vorn in der Nähe des Reïs und gab mich widerstandslos dem elegischen Eindrucke hin, welchen eine solche Nacht auf jedes empfängliche Gemüth äußert.
    Da trat Leïlet an meine Seite, schlug den Schleier zurück und gab

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