Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
wenigstens durch die Auszahlung einer Summe Geldes zu erlangen sind. Mir fehlten augenblicklich die Mittel, aber trotzdem beschloß ich, morgen schon den Bruder zu besuchen, um dem Andern zuvorzukommen. Warde wollte ihn vorbereiten.«
    Am nächsten Vormittage saß ich oben auf der Plattform. Da hörte ich ein Geräusch, bog mich vor und erblickte zwei Männer, welche zu derselben Zeit nach oben sahen und mich sofort bemerkten.
    »Aaïb aaleihu, Schande über ihn!« hörte ich den Einen rufen, während er mit finsterem Blick die Stelle der Mauer musterte, welche ich als Stiege zu benutzen pflegte.
    Wer waren die Beiden? War es der Bruder, welchen ich noch nicht kannte, vielleicht mit jenem Egypter? Ich ließ mich nach einer Weile zu einer Unterredung bei ihm anmelden und erhielt den Bescheid, morgen zu kommen. Warum erst morgen? Ich konnte mich des Gefühles nicht erwehren, das etwas Feindseliges gegen uns im Werke sei, und erwartete mit einer nicht zu überwindenden Beklemmung den Abend, an welchem ich Warde sprechen konnte.
    Die Zeit unserer Zusammenkünfte kam, aber die Geliebte nicht. Ich wartete bis spät in die Nacht hinein aber vergebens, und wünschte nun sehnlichst den Anbruch des Tages herbei, um mir bei dem Levantiner Gewißheit hole zu können.
    Er empfing mich mit einem Gesichte, in welchem die Schadenfreude deutlich geschrieben stand und beobachtete kaum die gegen einen Besuch gebräuchlichen Höflichkeiten. Trotzdem trug ich ihm meine Angelegenheit mit möglichster Ruhe und Freundlichkeit vor und sah dann mit Spannung seiner Antwort entgegen.
    »Du bist einer von den Effendi’s, welche der Vicekönig gerufen hat, damit sie ihm große Häuser bauen, in denen der Dampf mehr arbeitet, als hundert Männer?«
    »Ja.«
    »Ich hasse diese Fremden, welche zu uns kommen, um uns arm zu machen. Du wirst Warde niemals wiedersehen!«
    Das war allerdings deutlich genug, trotzdem aber hielt ich meinen Zorn zurück und gab mir die möglichste Mühe, ihn zu einer Aenderung seines Entschlusses zu bewegen, doch vergebens. Und als ich schließlich darauf bestand, das Mädchen selbst zu sprechen, erhob er sich und gab mir den niederschmetternden Bescheid:
    »Du hast die Sitte und das Gesetz des Landes verletzt und das Angesicht eines Weibes gesehen, welches das Eigenthum eines Andern geworden ist. Warde ist gestern abgereist mit dem Manne, dem ich sie gegeben habe. Gehe, laß Deinen Fuß nicht wieder mein Dach berühren!«
    »So hast Du sie gezwungen, dieses Haus zu verlassen!«
    »Gezwungen?« lachte er; »Du irrst, Fremdling; sie ging mit Freuden nach dem Schiffe, denn sie hoffte Dich dort zu finden.«
    »Mich? Also getäuscht, verrathen habt Ihr sie! Weißt Du, Elender, daß ich sie suchen und auch finden werde? Aber, wehe Dir, wenn ich Dich zur Rechenschaft ziehen werde!«
    »Schweig! Du bist ein Unwissender hier im Lande, sonst wäre Dir bekannt, daß ich die Gewalt habe, mit den Frauen meines Hauses zu thun nach meinem Wohlgefallen. Entferne Dich, damit mein Zorn Dich nicht dem Gesetze überweise!«
    Er sprach die Wahrheit und hatte das Recht, die Beleidigung, zu welcher ich mich hatte hinreißen lassen, dem Richter anzuzeigen. Deshalb beherrschte ich mich und ging, fest entschlossen, Alles zu thun und zu wagen, um die mir Entrissene wiederzufinden.
    Möglich war es, daß er mir ein Mährchen erzählt und Warde noch bei sich hatte, doch brachten mich meine Nachforschungen bald zu der Ueberzeugung, daß er mir die Wahrheit berichtet. Um so erfolgloser aber waren alle meine Anstrengungen, eine Spur der Geliebten aufzufinden, obgleich ich Nichts unterließ, was mir nur einen Schimmer von Hoffnung bringen konnte.
    »So sind Monde verflossen und haben mir nichts weiter gebracht, als die Ueberzeugung, daß ich verzichten muß, obgleich Alles in mir sich gegen den Gedanken sträubt, das herrliche Wesen, welches mit aller Gluth des Herzens nur mich allein liebt, in den Armen eines Andern zu wissen. Sieh mich an – was ist aus mir geworden?« –
    Er schwieg. Ich kannte ihn und wußte, daß jeder Versuch, ihn zu trösten, nutzlos sein würde.
    »Hast Du nicht den Gedanken gehabt, durch ihre Schwester Etwas zu erfahren?«
    »Natürlich; er lag so nahe, daß ich ihn gleich in der ersten Stunde hegte und befolgte. Ich war entschlossen, sie zu sprechen, selbst wenn ich dadurch in Gefahr gerathen sollte; aber sie wurde streng bewacht, durfte das Dach nicht mehr betreten, und als ich doch den Posten auf der Plattform nicht aufgab,

Weitere Kostenlose Bücher