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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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theilnehmender Sorge ergriff ich seine Hand und erkundigte mich nach der Ursache der Veränderung, welche dem brüderlichen Auge eher auffallen mußte, als jedem anderen. Ein minutenlanges Schweigen folgte meiner Frage, und dann klang es mit leiser, vibrirender Stimme:
    »Du hast meinen letzten Brief erhalten?«
    »Ja.«
    »Und von meinem Glück gelesen?«
    »Mit inniger Freude und Dank gegen Gott, Bernhard, der Dir ein solches Wesen finden ließ!«
    »Es ist aus – aus – wohl für immer!«
    Das klang so trostlos, so aller Hoffnung bar, und da ich fest geglaubt hatte, ihn im Schooße eines reichen Glückes zu finden, so mußte ich betroffen ausrufen:
    »Aus –? Inwiefern und warum?«
    »Ich habe sie verloren.«
    »Verloren? Auf wessen Verschuldung? So sprich doch!«
    »Natürlich mußt Du Alles wissen, schön aus brüderlicher Offenheit. Aber noch Eins: Du kennst die Verhältnisse diesem unglücklichen Landes besser, als ich und weißt vielleicht da noch einen Rath, wo ich schon längst am Ende meiner Klugheit stehe und vergebens die Gedanken zermartere, um noch Etwas zu finden, was mir Hoffnung giebt. Ja, ich begrüße Deine Ankunft als das einzige Ereigniß, welches mir, wenn auch vielleicht nicht die ersehnte Hülfe, so doch wenigstens Trost und Beruhigung bringen kann.«
    »Aber ich wiederhole meine Bitte: So sprich doch endlich! Du siehst ja, daß Du mich förmlich auf die Folter spannst. Was ist denn nur geschehen, das Dich, den fröhlichen, hoffnungsreichen und glücklichen Gesellen so niederschmettern, so muthlos machen, so um die gewohnte Energie und das glückliche Selbstvertrauen bringen konnte?«
    »So höre! Du weißt, daß ich das obere Geschoß, eines alten Gebäudes bewohnte, von dessen plattem Dache man einen freien Ueberblick auf die niedriger gelegenen Dächer der Nebenhäuser hatte. Ich pflegte da oben die kühlen Stunden des Tages zuzubringen und stieg auch öfters des Abends hinauf, um die milde Luft und die Pracht des Himmels zu genießen, trotzdem ich als Ausländer Gefahr lief, mir dadurch eine hier so gefährliche Augenentzündung zuzuziehen.«
    Das Nachbarhaus bewohnte einer jener Levantiner, welche meist als arme Schlucker nach Egypten kommen und durch ehrlose Kunstgriffe und elende Schurkereien nach und nach ein Vermögen zusammenscharren, nach welchem sie blos streben, um es zu besitzen, da bei den Verhältnissen dieses Landes die Klugheit ihnen verbietet, ihre Wohlhabenheit bemerken zu lassen. Der Mann war mit einem Weibe und deren Schwester aus Syrien herübergekommen und, wie ich bald erfuhr, für Geld zu Allem bereit, was Gewinn zu bringen verspricht.
    So wenig Sympathie man für den männlichen Theil der levantinischen Christen hegt, so berühmt sind die Frauen der Levante wegen ihrer oft geradezu sinnberückenden Schönheit und ihrer Herzenseigenschaften, durch welche sie in den vortheilhaftesten Gegensatz gestellt werden zu ihren moralisch verderbten Angehörigen, und ich glaubte fest, unter den Frauen all’ der hier vertretenen Racen und Völkerschaften des Orientes sind sie die einzigen, denen sich ein Lebensglück anvertrauen läßt.
    Oefters schon hatte ich die beiden Nachbarinnen auf der Plattform ihres Hauses luftwandeln sehen, stets aber tief verschleiert, und nur zuweilen drang ein abgerissener Laut ihres immer leise geführten Gespräches empor zu mir. Durfte ich nach dem süßen, weichen Wohlklange einer Stimme schließen, so war die Sprecherin jung und sicherlich nichts weniger als häßlich; wenigstens begann meine Phantasie ihre schmeichelnde Thätigkeit, und da ich bemerkte, daß auch mir einige Aufmerksamkeit gewidmet wurde, so regte sich bald der Wunsch in mir, die Geheimnisse des Schleiers einmal lüften zu können. Sie waren keine Muhamedanerinnen, und ich durfte also annehmen, daß eine kleine Wißbegierde meinerseits nicht auf eine völlige Unmöglichkeit stoßen werde, zumal ich schon von Türkinnen die Erlaubniß bekommen hatte, einen Blick hinter die grausamen und neidischen Falten thun zu dürfen.
    Eines Morgens waren sie nach beendigter Erholungsstunde wieder hinabgestiegen, und ich stand schon im Begriffe, mein Zimmer nun auch aufzusuchen, als ich von Neuem leichte Schritte vernahm. Rasch wandte ich mich zurück. Aber wie soll ich Dir die Herrlichkeit beschreiben, auf welche jetzt mein Auge fiel! Ich will es gar nicht versuchen, denn es würde mir doch unmöglich gelingen, Dir einen auch nur annähernden Begriff von der Schönheit, Reinheit und

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