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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ihre Wangen dem leise fächelnden Hauche preis. Es war mir, als eilten die Strahlen des Mondes schneller und freudiger hernieder, um ihr Stirne und Mund zu küssen, als nickten ihr die Palmen des Ufers aus dem Halbdunkel ihre Grüße entgegen und als verstumme das Plätschern der Wellen vor dem bezaubernden Einflusse ihrer Nähe. Es lag so weich und wehe in dem engelgleichen Angesichte, und ein langer, tiefer und schwerer Athemzug hob den Busen, dessen Bewegung ich trotz der Hülle deutlich zu erkennen vermochte. Plötzlich legte sie die Hand auf meinen Arm, und leise und gepreßt klang es:
    »O, zürne mir nicht, Du Guter!«
    Ich wußte ihr nicht zu antworten, und mein Schweigen falsch deutend, schlang sie, wie von einem unwiderstehlichen Impulse getrieben, die Arme um meinen Nacken, preßte ihr Köpfchen fest, fest an meine Brust und schluchzte:
    »Leïlet kann nicht dafür!«
    Noch ein langer, tiefer, unbeschreiblicher Blick, als müsse sie ihre ganze Seele in mein Auge senken, und dann floh sie der Kajüte zu.
    Ich blieb zurück unter einem Sturme von Empfindungen, der mich die ganze Nacht nicht ruhen ließ und auch am Morgen sich noch nicht beschwichtigt hatte. Es lastete ein Geheimniß, ein Druck auf ihrer Seele, der ihres Herzens Freiheit raubte und die Erfüllung meiner freudigsten Hoffnung verzögerte. Aber ich beschwichtigte meine Befürchtungen; die nächste Zukunft schon mußte mir ja die Lösung des Räthsels bringen und mich über die Verhältnisse meines schweigsamen Schützlings unterrichten. Mochten aber dieselben sein, wer sie wollten, das stand felsenfest: mein mußte sie werden, und sollte ich einen einzigen Augenblick des Glückes mit dem Tode oder mit einem öden und freudeleeren Leben bezahlen! – –
    Die wenigen Passagiere, welche die Dahabïe unterwegs aufgenommen hatte, waren jetzt über das Landungsbret geschritten, und ich wandte mich nun zu Leïlet, um sie an den Aufbruch zu mahnen. Sie eilte herbei und bat hastig und flehend:
    »Verlaß mich nicht schon jetzt, sondern nimm mich mit Dir!«
    Wie klang doch diese Bitte so sonderbar! ich bog mich zu ihr nieder und flüsterte mit überfließendem Herzen:
    »Ich werde Dich nie, nie wieder von mir lassen!«
    Da ich wußte, daß mein Bruder die Wohnung geändert hatte und ich seine gegenwärtige Adresse noch nicht kannte, so nahm ich für mich und Leïlet eine Barutsche, einen jener meist zweiräderigen und mit Kissen ausgelegten Wagen, wie sie in Kairo üblich sind, und fuhr, die Sorge für das Gebäck meinem Omar überlassend, nach dem Hotel d’Orient, um dort einstweilen Wohnung zu nehmen.
    Es war schon zu spät, den Consul aufzusuchen, um die nöthigen Erkundigungen einzuziehen und etwa eingangene Briefe und Schriftstücke in Empfang zu nehmen. Deshalb beschloß ich, nicht auszugehen und mich vielmehr mit dem Ordnen meiner Effekten zu beschäftigen.
    Eben hatte ich diese Arbeit beendet, als Leïlet bei mir eintrat. Jeder ihrer Züge sagte mir, daß irgend ein Entschluß sie beschäftige, und als sie sich dem Tische näherte, wußte ich, daß sie im Begriffe stehe, die bis heut’ aufgeschobene Aufklärung auszusprechen. Da fiel ihr Blick auf eine vor mir liegende Mappe, welche in goldenen Lettern meinen Namenszug trug. Ein Blitz der Ueberraschung zuckte über ihr erbleichendes Angesicht, und mit unsicherer, ja zitternder Stimme hauchte sie:
    »Ich kam, um Dir den Abendgruß zu bringen. Leïlkum saaïde, gute Nacht!«
    »Leïlet,« rief ich emporspringend, »worüber erschrakst Du? Wolltest Du mir nur diese zwei Worte sagen?«
    »O nein, Herr, Du solltest Vieles vernehmen, aber meine Lippe muß sich schließen, bis sie morgen sprechen darf.«
    »Morgen? Warum nicht heut’, nicht jetzt? Hast Du nicht gefühlt, daß mein Herz sich allezeit gesehnt hat nach dem Worte, welches Du aufgehoben hast bis jetzt und nun auch weiter noch verschweigen willst?«
    »Ich habe das Leid Deiner Seele zu jeder Zeit in Deinem Auge gelesen, aber die Lippe blieb mir stumm, weil –«
    Die Hände vor’s Gesicht legend, lehnte sie tiefathmend den Kopf an meine Schulter. Ich schlang den Arm leise um ihre weiche, schlanke Gestalt; da aber wand sie sich los und war, noch ehe ich es verhindern konnte, hinter der Thüre zu ihrem Gemache verschwunden.
    Was war das? Was hatte sie so erschreckt, so erschüttert; konnte es wirklich die unschuldige, bedeutungslose Mappe sein, welche eine so plötzliche Zurückhaltung bewirkt hatte? Von tausend unklaren und ungewissen

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