Der gläserne Drache
trat.
„Ihr solltet zu Bett gehen“, sagte sie. „Der Herr hat Nachricht gesandt, dass er erst morgen wieder zurück sein wird.“
Sie wandte sich zu Tür und rief: „Maya!“
Ein blasses junges Mädchen mit flachsblondem Haar trat schüchtern in den Raum. „Begleite Tamira und Anina zu ihrem Zimmer“, befahl die Hausdame, „und hilf ihnen, sich für die Nacht fertig zu machen.“ Sie warf einen spöttischen Blick auf Wigo und Tanis. „Die jungen Herren werden ihren Weg wohl allein finden. Ich wünsche euch allen eine gute Nacht!“
Mit einem Gruß an die beiden Mädchen verließen die Jungen den Raum, Tamira und Anina folgten Maya. Sie waren für die Führung dankbar, denn allein hätten sie in dem weitläufigen Haus dorthin kaum zurückgefunden.
Die junge Dienerin hatte bereits frisches Wasser und Tücher bereitgestellt, und auf dem großen Bett lagen zwei Nachthemden.
Wenn die Schwestern gedacht hatten, dass Maya sie nun allein lassen würde, hatten sie sich getäuscht. Flink half sie den beiden beim Entkleiden und hängte die Gewänder ordentlich in den Schrank, während die beiden Mädchen sich wuschen. Bisher hatte sie noch nicht ein Wort gesagt.
Nun sagte sie in demütigen Ton zu Tamira: „Setzt Euch bitte hierher, Herrin, damit ich Euer Haar bürsten kann.“
Tamira und Anina sahen sich erstaunt an. „Aber Maya! Wir sind keine Herrinnen, sondern einfache Mädchen wie du!“ sagte Tamira. „Ich bin Tamira und meine Schwester heißt Anina. Und was wir am allerwenigsten brauchen, ist eine Dienerin! Wir sind gewöhnt, das alles allein zu tun. Also geh ruhig zu Bett! Es wäre jedoch nett von dir, wenn du uns morgen wecken würdest, damit wir rechtzeitig zum Frühstück erscheinen.“
Zum Entsetzen der beiden Schwestern brach Maya in Tränen aus. „Wenn ich Euch nicht bedienen darf, wird mich der Herr fortschicken.
Aber meine Familie ist arm und wir brauchen den Lohn, den ich hier bekomme. Ich flehe Euch daher an, mich die Arbeit tun zu lassen, die der Herr Romando für mich bestimmt hat. Habt Mitleid mit mir und meiner Familie, denn seit der Vater tot ist, kann die Mutter mich und meine drei kleinen Geschwister nur durch ihre Näharbeit nicht mehr ernähren.“
Tamira und Anina sahen Maya mitleidig an. Tröstend zog Anina sie in die Arme.
„Aber natürlich werden wir dich nicht fortschicken! Aber wir möchten dich lieber als Freundin statt als Dienerin. Wir werden uns gern von dir helfen lassen, denn du kannst uns vielleicht mit manchem Rat dienen, falls wir hierbleiben müssen. Wir versprechen dir, dass der Herr nicht merken wird, dass wir dich nicht als Dienerin ansehen. – Und nun komm, bürste mir das Haar! Ich werde die Augen schließen und mich dann wieder wie das kleine Mädchen fühlen, dem die Mutter das Haar vor dem Schlafengehen kämmt.“
Maya ergriff die Bürste und löste Aninas Flechten. „Ich danke Euch sehr und will gern eure Freundin sein, aber lasst mich bitte weiterhin „Herrin“ zu Euch sagen, damit ich mich vor dem Herrn nicht verrate.“
Als die beiden Schwestern sich zu Bett begeben wollten, zog Maya jede von ihnen scheu in die Arme. „Danke! Mögen die Götter über Euch wachen!“ flüsterte sie. „Ich werde morgen rechtzeitig zur Stelle sein!“ Damit huschte sie aus der Tür.
*****
Am nächsten Morgen fuhren Tamira und Anina erschreckt aus dem Schlaf hoch, als es sachte an ihre Tür pochte und Maya eintrat.
Die beiden Mädchen hatten noch bis tief in die Nacht hinein geredet, denn die Angst vor der ungewissen Zukunft hatte sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Das ungewohnte Bett hatte ein Übriges getan, und so blinzelten sie mit übermüdeten Augen in den hellen Sonnenschein, der nun blendend ins Zimmer fiel, als die junge Dienerin die Vorhänge aufschob.
„Guten Morgen!“ sagte sie mit zaghaftem Lächeln. „Ihr seht nicht so aus, als hättet ihr gut geschlafen. Ich hoffe, das ändert sich noch, wenn ihr euch erst an die neue Umgebung gewöhnt habt.
Doch ich bitte euch, steht jetzt schnell auf! Der Herr ist noch spät in der Nacht zurückgekehrt und wird euch heute beim Frühstück erwarten. Während ihr euch wascht, lege ich euch die Kleidung zurecht.“
Rasch sprangen Tamira und Anina aus dem Bett. Nachdem sie die frische Wäsche angezogen hatten, die Maya ihnen bereitgelegt hatte, halfen sie sich gegenseitig in die Kleider, die sie bereits am Abend getragen hatten. Die junge Dienerin band die
Weitere Kostenlose Bücher