Der gläserne Schrein (German Edition)
redet.» Er nahm Marysas Kinn zwischen die Finger und quetschte es. «Ihr habt Eure Nase in fremde Angelegenheiten gesteckt», sagte er beinahe freundlich. «Das war keine gute Idee, nicht wahr?»
Marysa verdrehte entsetzt die Augen, traute sich aber nicht, etwas zu sagen.
Der Geistliche hob grob ihren Kopf an. «Mit wem habt Ihr darüber gesprochen? Mit Euren Eltern? Euerm Gesinde?»
Zaghaft versuchte Marysa, den Kopf zu schütteln. «Ich …»
«Ja?» Das Gesicht des Geistlichen war ihrem jetzt ganz nahe.
«Niemandem. Wir haben niemandem davon erzählt. Wir wissen auch nicht …» Als er ihr noch fester ins Kinn kniff, stieß sie einen Schmerzenslaut aus.
«Lügt mich nicht an!», fuhr er sie an. «Wenn Ihr es nicht sagt, müssen wir wohl oder übel jeden aus Eurem Haushalt und Eurer Familie verdächtigen.» Er lächelte eisig. «Jeder, der etwas wissen könnte, muss aus dem Weg geräumt werden.»
Marysa keuchte. «Das wagt Ihr nicht. Ihr könnt nicht alle umbringen!»
«Wollt Ihr mich auf die Probe stellen?» Der Geistliche trat einen Schritt zurück und musterte sie abschätzend. «Ihr seid schon einmal wegen falschen Reliquienhandels angeklagt gewesen, nicht wahr? Wie ärgerlich, dass man damals nicht die rechten Beweise gegen Euch finden konnte. So hattet Ihr Zeit genug, Eure ganze Familie in die Sache zu verwickeln. Welch ein Glück, dass ich noch rechtzeitig dahintergekommen bin …»
Ungläubig irrte Marysas Blick durch den Raum. «Das könnt Ihr nicht machen! Was wollt Ihr überhaupt?»
Der Geistliche verschränkte unbeeindruckt die Arme vor der Brust. «Wisst Ihr es wirklich nicht, Weib? Oder spielt Ihr uns die Unwissende nur vor?»
Marysa schüttelte zaghaft den Kopf.
Mit einem sardonischen Lächelt beugte der Geistliche sich über sie. «Ihr wisst also nicht, dass König Sigismund im kommenden Herbst nach Aachen kommen will, um sich krönen zu lassen?»
Marysas Augen weiteten sich.
«Ah, also doch.» Der Geistliche lächelte kalt. «Ihr seid uns in die Quere gekommen, Frau Marysa. Aber weder Ihr noch Bruder Christophorus werdet Euch weiterhin einmischen können. Die Chorhalle wird nicht fertiggestellt, jedenfalls nicht so bald. Aufgrund dieser Verzögerung wird der König ganz sicher darauf verzichten, sich noch vor dem Konzil in Konstanz seine Krone abzuholen. Sollte er es doch tun …», nun starrte er ihr finster in die Augen, «… dann erst, wenn Wilhelm von Berg neuer Erzbischof von Köln geworden ist.» Er trat wieder einen Schritt zurück. «Euer Leben ist verwirkt, Weib. Tut Euch und den Euren einen Gefallen und sagt mir jetzt endlich, wo Bruder Christophorus steckt!»
***
Auf der anderen Seite der Tür erklang ein Schnauben. «Ihr habt in der Halle herumgeschnüffelt und in den Trümmern der eingestürzten Gerüste. Ihr seid herumgelaufen und habt allen möglichen Leuten Fragen gestellt. Also, was habt Ihr herausgefunden?»
Christophorus trat näher an die Tür heran. «Lasst mich hier heraus, und Ihr erfahrt es.»
Der Mann hinter der Tür lachte abfällig. «O nein, Ihr kommt hier nicht raus, Pfaffe. Aber Ihr werdet mir jetzt sagen, wer, verdammt nochmal, Gift in meinen Wein gemischt hat. Erst dachte ich ja wirklich, Goldschläger könnte es gewesen sein, weil er herausgefunden hat … Aber dazu ist er viel zu anständig. Ein richtiger Waschlappen ist er; lässt sich von seinem vermaledeiten Weib diktieren, was er zu tun und zu lassen hat.»
Christophorus schluckte. «Meister Hyldeshagen?» Er versuchte zu begreifen, was das zu bedeuten hatte.
Hyldeshagen schien sich indes in Rage geredet zu haben. «Fast müsste ich ja froh sein, dass sie ihm das Leben schwermacht und nicht mir. Aber ich hätte sie mir damals schon gefügig gemacht, jawohl!»
Ratlos starrte Christophorus auf die Tür. «Ihr wolltet sie heiraten?»
Nun erklang ein gequälter Laut auf der anderen Seite. «Sie hätte es gut gehabt bei mir. Aber was tat sie? Sie hat mich ausgelacht! Dabei hätte ich ihren Vater gewiss überzeugt, dass ich ihr ein besserer Mann gewesen wäre als der alte Schrenger. Aber sie wollte mich nicht! Nahm lieber diesen verdammten Reliquienkrämer. Und das nur, weil er so verflucht reich und ein Geschäftspartner ihres Vaters war!»
Christophorus bemühte sich, ruhig zu bleiben. «Ihr habt also Eure Anklage aufrechterhalten, obwohl Ihr wusstet, dass Meister Goldschläger mit dem Giftanschlag nichts zu tun hatte. Warum?»
Hyldeshagen lachte wieder auf. «Könnt Ihr Euch das
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