Der gläserne Schrein (German Edition)
nicht denken? Erst kriegt der alte Schrenger sie, dann der Sohn meines größten Konkurrenten. Wenn das nicht ein Irrwitz ist! Wäre es nach mir gegangen, hätte ihn die Holzstange durchbohrt und nicht seinen Gesellen.»
Christophorus schwieg einen Moment, dann begriff er. «Ihr habt den ersten Unfall mit dem Gerüst herbeigeführt, um an Meister Goldschläger Rache zu nehmen und nebenbei auch an seiner Stelle die Vergoldungen in der Halle übernehmen zu können.»
«Das kann mir niemand beweisen», kam es ruhig von der anderen Seite der Tür. «Weder Ihr noch dieser dreimal verfluchte Baumeister, Bruder Jacobus, der mir mit aller Gewalt Knüppel zwischen die Füße werfen will.»
Alarmiert merkte Christophorus auf. «Bruder Jacobus? Was hat er damit zu tun?»
Hyldeshagen schnaufte wieder. «Was schon? Er mäkelt herum, will hier eine Änderung, da einen neuen Goldüberzug. Als wären wir nicht so schon in Verzug. Fast glaube ich, er will gar nicht, dass wir mit der Arbeit fertig werden.»
In Christophorus’ Kopf begann es zu arbeiten. Er dachte an den Mann, den er im Hinterhof der Burtscheider Herberge gesehen hatte. Konnte das sein? Hatte er sich doch nicht getäuscht? Er musste hier schnellstens heraus, so viel stand fest. Wie sollte er Hyldeshagen überwältigen, der ganz offensichtlich übergeschnappt war?
Hinter der Tür wurden Schritte laut, dann hörte er eine zweite Stimme etwas flüstern.
«Im Ernst?» Hyldeshagen lachte schallend. «Na, das wird dem Pfaffen aber gar nicht gefallen. Vielleicht kriegt er jetzt endlich das Maul auf.» Einen Augenblick war es still, dann sagte Hyldeshagen, offenbar wieder an Christophorus gerichtet: «Ihr glaubt nicht, was ich soeben erfahren habe. Euer Liebchen Marysa ist verschwunden. Entführt, heißt es. Goldschläger setzt schon Himmel und Hölle in Bewegung, um sie wiederzufinden.»
Christophorus erstarrte. «Sie wurde entführt?»
Hyldeshagen lachte wieder schrill. «Das müsst Ihr doch besser wissen als ich. Offenbar seid Ihr noch jemandem auf die Füße getreten, wie?» Ohne Übergang wurde seine Stimme scharf. «Ihr wollt mir also nicht verraten, was im Marienstift vor sich geht? Aber bitte, mir soll es nur recht sein, wenn sie Marysa zum Schweigen bringen. Dann bleibt ja nur Ihr übrig, nicht wahr?»
Hilflos ballte Christophorus die Hände zu Fäusten.
***
Marysa lag wimmernd in einem winzigen, kalten Raum, der nichts außer in Mieten aufgeschichteten Kornsäcken enthielt. Die Getreidekammer lag offenbar in einem der Nebengebäude des Hauses, in das man sie verschleppt hatte, denn Barnabas war mit ihr über einen steinigen Hof gegangen, bevor er sie hier eingesperrt hatte. Durch den Sack, der ihr wieder über den Kopf gezogen worden war, hatte sie nicht erkennen können, wo genau sie sich befand.
Den Sack hatte sie mittlerweile unter größten Mühen abgestreift. Ihre Arme schmerzten so sehr, dass ihr die Tränen über die Wangen rannen. Um die gewünschten Antworten aus ihr herauszupressen, hatte Barnabas ihr die auf dem Rücken gefesselten Arme so weit nach hinten gezogen, dass sie vor Schmerz geschrien und befürchtet hatte, ihre Schultergelenke würden brechen. Sie hatte nur wiederholen können, dass sie nicht wusste, was die Männer von ihr wollten. Christophorus’ Aufenthaltsort hatte sie ebenfalls nicht preisgegeben, aber das war auch gar nicht möglich, wusste sie doch tatsächlich nicht, wohin er am Vortag gegangen war. Sie hoffte inständig, er möge inzwischen wieder zum Büchel zurückgekehrt sein und erfahren haben, dass sie vermisst wurde. Er würde versuchen, sie zu finden, ganz bestimmt. Aber woher sollte er wissen, wo er sie suchen musste?
Marysa schluchzte trocken. Er konnte ja nicht wissen, wer sie entführt hatte und was diese Männer im Schilde führten. Eine Verschwörung gegen den König! Niemand würde dies je vermuten. Auch sie selbst konnte es kaum glauben. Sie betete inständig, Christophorus möge es herausfinden, bevor er ebenfalls in die Fänge ihrer Entführer geriet.
40. KAPITEL
«Wo steckt dieser verfluchte Bruder Christophorus?», herrschte der Geistliche Barnabas an. «Es kann doch nicht so schwer sein, einen Mann in Aachen zu finden.»
Barnabas zuckte mit den Schultern. «Er scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Weder am Büchel noch in der Kockerellstraße hält er sich auf. Im Konvent an der St.-Jakob-Straße ist er auch nicht.»
Der Geistliche schnaubte abfällig. «Seit er bei der Witwe Markwardt
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