Der gläserne Schrein (German Edition)
jedoch nicht ausmachen, woher die Stimme gekommen war. Erst als der Mann weitersprach, erkannte Christophorus, dass dieser sich auf der anderen Seite der Tür befinden musste. «Gebt Euch keine Mühe. Ihr seid in einem Haus außerhalb der Stadtmauern. Ein verfallenes Haus, wohlgemerkt, bis auf diesen Keller. Rufen wird Euch also nichts nützen.»
Christophorus ging auf die Tür zu. «Wer seid Ihr, und was wollt Ihr von mir?», fragte er.
Die Stimme hinter der Tür lachte abfällig. «Als ob Ihr das nicht wüsstet, blöder Pfaffe! Ihr und dieses vermaledeite Weib habt Euch ständig in meine Angelegenheiten eingemischt. Das lasse ich mir nicht gefallen! Ihr sagt mir jetzt sofort, was Ihr über die Vorfälle in der Chorhalle wisst und wer dafür verantwortlich ist!»
Christophorus hatte schon zu einer Antwort angesetzt, doch nun stutzte er.
«Ihr schweigt?» Die Stimme lachte wieder gehässig. «Na, meinetwegen. Ich kriege es schon aus Euch heraus. Wartet, bis ich Euer Liebchen, Goldschlägers Tochter, geschnappt habe und ihr hübsch ein Fingerchen nach dem anderen breche. Das wird Eure Zunge schon lockern. Sie und ihre ganze Sippschaft sind schließlich überhaupt schuld an allem.»
Christophorus atmete zweimal tief ein und aus, um seine Gedanken zu ordnen. «Wer seid Ihr?», fragte er zum wiederholten Mal. «Warum glaubt Ihr, dass wir etwas über die Vorfälle in der Chorhalle wissen?»
***
«Scheiffart ist fortgeritten», berichtete Bardolf, als er in die Kockerellstraße zurückgekehrt war. «Offenbar will er den Dechanten zurückholen, der sich bereits auf dem Weg zum Weihnachtsbesuch bei seiner Familie befindet. Warum, wollte mir niemand sagen, aber ich vermute, es hat auch etwas mit den Vorfällen in der Chorhalle zu tun.»
«Und was jetzt?», fragte Jolánda verzweifelt. «Wie sollen wir Marysa nur wiederfinden?»
Bardolf seufzte. «Ich habe mit Rochus van Oenne gesprochen, einem der Kanoniker, die sich noch im Stift aufhalten. Er wusste wohl schon von dem Verdacht, den Marysa und Christophorus gegenüber Scheiffart geäußert haben. Aber wie gesagt, Näheres wollte er mir nicht verraten. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass die Kanoniker mehr wissen, als sie zugeben. Van Oenne ließ nämlich den Dombaumeister rufen, dem ich noch einmal von Marysas Entführung berichten sollte.»
«Den Dombaumeister?» Erstaunt hob Jolánda den Kopf. «Was hat er damit zu tun?»
«Ich weiß es nicht», antwortete Bardolf nicht minder ratlos. «Sie versprachen mir, sich sofort an der Suche zu beteiligen und dass die Täter hart bestraft würden. Dann warfen sie mich fast schon hinaus.» Er rieb sich über die Stirn. «Im Marienstift geht irgendetwas vor, Jolánda.»
«Aber was?»
39. KAPITEL
«Nun sagt uns schon, wo Bruder Christophorus steckt.» Entsetzt starrte Marysa den Geistlichen an, der sich mit einem kalten Lächeln vor ihr aufgebaut hatte. Sie saß auf einem unbequemen Hocker ohne Rückenlehne in einem kleinen Raum mit vergitterten Fenstern und einem Schreibpult in der Mitte. An den Wänden reihten sich leere Regale aneinander. Ihr Herz holperte und überschlug sich fast, als der Mann sich zu ihr hinabbeugte und ihr eindringlich in die Augen blickte. «Wohin ist er gegangen? Wer hat ihn auf uns angesetzt?»
Marysa schluckte und merkte dabei, dass ihr Hals vollkommen ausgetrocknet war. «Ich weiß nicht, was Ihr meint», stieß sie krächzend hervor und räusperte sich, was ihrer trockenen Kehle nicht eben guttat.
Ohne Vorwarnung holte der Geistliche aus und schlug ihr so heftig ins Gesicht, dass sie vom Hocker rutschte und zu Boden fiel. Voller Angst wollte sie wegkriechen, doch da sie an den Händen und inzwischen auch an den Füßen gefesselt war, konnte sie sich kaum bewegen. Im nächsten Augenblick hatte der falsche Bettler, den die Männer Barnabas nannten, sie auch schon unter den Armen gepackt und hochgerissen. Unsanft landete sie wieder auf dem Hocker. Im nächsten Moment spürte sie, wie ihr Kopf nach hinten gerissen wurde und Barnabas ihr ein scharfes Messer an den Hals hielt.
Vor Entsetzen quollen ihr beinahe die Augen aus dem Kopf.
Wieder beugte sich der Geistliche über sie. «Sagt mir, was Ihr wisst, und es wird nicht lange wehtun.»
Marysa wagte kaum zu atmen, denn sie fühlte, wie die scharfe Klinge ganz leicht über die Haut an ihrer Kehle strich.
«Noch nicht», sagte der Geistliche und hielt Barnabas auf, der seinen Griff daraufhin etwas lockerte. «Erst will ich, dass sie
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