Der gläserne Schrein (German Edition)
bestätigen, dass sich alles so zugetragen hat.»
Verunsichert trat Hartwig noch einen Schritt zurück. «Was habt Ihr jetzt vor?»
«Ich gehe zum Marienstift», antwortete Christophorus. «Denn ich habe Grund zu der Annahme, dass der Dombaumeister an Marysas Entführung beteiligt ist.»
«Bruder Jacobus?» Hartwig schüttelte verärgert den Kopf. «Der Dombaumeister hat Marysa entführt? Was ist das für ein Unsinn?»
Christophorus blickte ihn scharf an. «Kein Unsinn, Meister Schrenger, sondern eine groß angelegte Verschwörung.» So rasch wie möglich erklärte er Hartwig die Zusammenhänge. «Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr derweil zu den Schöffen gehen und Ihnen von meinem Verdacht berichten würdet», schloss er. «Und zeigt in meinem Namen auch Ansem Hyldeshagen an! Aber seht Euch vor, der Mann ist von Sinnen.» Ohne länger auf den Schreinbauer zu achten, lief Christophorus wieder los.
Hartwig blickte ihm mit offenem Mund nach, dann stieß er einen gotteslästerlichen Fluch aus. «Zum Rathaus», schnauzte er seinen Knecht an, und dieser folgte ihm auf dem Fuße, als Hartwig sich in Bewegung setzte.
***
Johann Scheiffart machte noch einen Schritt auf Marysa zu und starrte sie mit großen Augen an. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber seine Beine knickten unter ihm weg und er brach zusammen. Hinter ihm wurde die schwere Eichentür geräuschvoll zugeworfen und der Riegel anschließend wieder vorgelegt.
Entsetzt starrte Marysa auf den am Boden liegenden Domherrn. Sie kroch zu ihm und versuchte, ihn mit aller Kraft auf den Rücken zu drehen. Erst jetzt bemerkte sie, dass er eine große Beule über der Schläfe hatte und dass ihm Blut aus dem Mundwinkel rann. Er stöhnte, als sie ihn vorsichtig abtastete, wodurch sie auf die Blutflecke auf seinem Wams aufmerksam wurde. Er schien eine Verletzung am Bauch zu haben.
Hilflos sah sich Marysa in der dämmrigen Getreidekammer um. Sie versuchte, Scheiffart das Wams vorsichtig auszuziehen, um seine Wunden zu untersuchen. Sie schaffte es jedoch nur, Wams und Hemd ein Stück hochzuschieben. Der Anblick, der sich ihr bot, brachte ihre Magensäfte dazu, sich zu heben. Jemand hatte ihn offenbar mit einem Messer traktiert und dann die entstandenen Wunden mit einem Brenneisen behandelt.
«O Gott!» Sie tastete nach Scheiffarts Hals und spürte einen leichten Puls. «Warum?», schluchzte sie. «Warum diese Grausamkeit?»
Sie fuhr erschrocken zusammen, als vor der Tür eine ihr mittlerweile wohlbekannte Stimme erklang. «Wollt Ihr, dass es Eurer Familie genauso ergeht, Frau Marysa? Seid still und gewöhnt Euch lieber schon mal an den Anblick.» Barnabas lachte dreckig. «Vielleicht bekommt Ihr es auch gar nicht mehr mit, weil sie Euch vorher schon hingerichtet haben.»
Marysa erbleichte. «Ihr Schwein!», schrie sie und stand unbeholfen auf. Ihre Arme und Schultern schmerzten nach wie vor schrecklich. Dennoch ging sie zur Tür und hämmerte dagegen. «Wie könnt Ihr so etwas nur tun?»
Wieder lachte Barnabas. «Der Bischof befiehlt, Barnabas handelt», antwortete er und ging mit einem fröhlichen Pfeifen davon.
Kraftlos sank Marysa gegen die Tür, doch ein leises Stöhnen ließ sie schnell aufschrecken. Sie eilte rasch zurück zu Scheiffart, dessen Augenlider leicht flatterten. Als er es geschafft hatte, sie zu heben, blickte er sie erschrocken an. «Frau Marysa.» Seine Stimme klang leise und undeutlich. «Es tut mir leid. Ihr seid hier … Ich hätte schon früher … Bruder Jacobus …» Er brach ab und schloss die Augen wieder.
42. KAPITEL
Zielstrebig steuerte Christophorus das Haupthaus der Domimmunität an, in dem der Dechant lebte. Auf sein Klopfen hin öffnete jedoch niemand, sodass er sich zunächst suchend umblickte und schließlich eilig auf den Dom zuging. Das Hauptportal war verschlossen, deshalb lief er seitlich um das Gotteshaus herum und blieb dann in der Nähe des provisorischen Seiteneingangs stehen, der in die Chorhalle führte. Vorsichtig blickte er hinein, sah jedoch nur einige Maler bei der Arbeit. Rasch schlüpfte er in die Halle und fragte einen von ihnen nach dem Dombaumeister. Er erfuhr, dass dieser am heutigen Tage noch nicht auf der Baustelle gewesen war.
«Ist einer von den Kanonikern hier?», wollte Christophorus wissen. Der Malergeselle zuckte als Antwort nur die Achseln.
Ohne ein weiteres Wort ließ Christophorus ihn stehen und eilte hinüber zu der Bretterwand, die die Halle von der Pfalzkapelle trennte. Wie immer
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