Der gläserne Schrein (German Edition)
ging sie in ihr Kontor und begann Schreibfedern anzuspitzen. An diesem Nachmittag wollte sie noch einiges an Geschäftskorrespondenz erledigen.
Sie hatte gerade den ersten Brief unterzeichnet und gesiegelt, als Leynhard in der Tür erschien. «Frau Marysa, da ist ein Pfaffe an der Haustür, der Euch zu sprechen wünscht.»
Marysa hob den Kopf. «Vater Ignatius?»
Der Geselle schüttelte den Kopf. «Nein, ein Dominikaner.»
Unvermittelt machte Marysas Herz einen Satz. Sie atmete jedoch ruhig weiter. Es bestand schließlich kein Grund zur Aufregung. «Lass ihn herein.»
Leynhard nickte und ging zurück in die Werkstatt. Augenblicke später betrat ein hochgewachsener, etwas knochig wirkender Dominikaner das Kontor und verbeugte sich knapp. «Guten Tag, Frau Marysa.»
Marysas Herz beruhigte sich derart schnell, dass sie glaubte, es sei für einen Moment stehengeblieben. «Ich grüße Euch, Bruder Simeon. Was führt Euch zu mir?»
Der Dominikaner trat an ihr Schreibpult und setzte sich, ihrer Geste folgend, auf den gepolsterten Stuhl, der für Besucher bereitstand. «Ein Geschenk, gute Frau. Wie Euch vielleicht schon zu Ohren gekommen ist, feiert unser Prior, Bruder Valentin, am Weihnachtstag seinen siebzigsten Geburtstag. Nun hat mich seine Familie, genauer gesagt einer seiner Neffen, beauftragt, ein passendes Geschenk auszusuchen, welches nicht nur unserem Prior, sondern auch dem gesamten Konvent zugutekommen soll. Ich habe mich mit meinen Mitbrüdern bereits darüber beraten.»
Marysa lächelte. «Und welche Art von Geschenk schwebt Euch vor?»
Bruder Simeon zog einen gepolsterten Seidenbeutel aus dem Ärmel seines Habits und reichte ihn ihr.
Neugierig öffnete sie die Verschnürung, ließ dann ein Büschel rauer, trockener Haare sowie eine kleine verschrumpelte grauweiße Kugel aus dem Beutel auf ihren Handteller gleiten. Aufmerksam betrachtete sie beides. Als sie erkannte, worum es sich bei dem Kügelchen handelte, schauderte sie ein wenig. Doch sie beherrschte sich und füllte die beiden Reliquien rasch wieder in das seidene Futteral.
«Ein Auge und Haare vom Bart des heiligen Valentin von Terni», erklärte Bruder Simeon voller Stolz. «Es war sehr schwierig, diese Heiltümer zu erwerben. Und nun möchten wir Euch bitten, Eure Gesellen einen passenden Schrein dafür bauen zu lassen. Uns schwebt ein kleiner Altar mit Triptychon vor, mit einem verschließbaren Fach für die Reliquien sowie einer passenden Bemalung – zum Beispiel der Gekreuzigte, zu dessen Füßen der heilige Valentin zusammen mit den Aposteln betet.»
«Eine ausgezeichnete Idee, Bruder Simeon», antwortete Marysa, während sie die Hände faltete. «Zufällig haben wir zwei Modelle für Altarschreine im Lager stehen. Wenn Ihr möchtet, könnt Ihr sie Euch gerne ansehen und mit meinen Gesellen die Einzelheiten besprechen.» Sie machte eine kurze Pause. «Ich nehme an, jener Neffe Eures Priors kommt für die Kosten auf?»
«Selbstverständlich.» Vater Simeon nickte eifrig. «Er will die Reliquien samt Schrein stiften. Wenn Ihr mir also einen Preis nennt, werde ich ihm diesen gerne weiterleiten.»
Marysa stand auf; der Geistliche tat es ihr nach. «Dazu solltet Ihr Euch bitte mit dem Altgesellen besprechen. Sobald er weiß, wie Euer Schrein aussehen soll, können wir die Kosten berechnen. Ich lasse Euch dann Nachricht überbringen.»
«Werdet Ihr denn mit dem Auftrag bis Weihnachten fertig sein?»
«Aber ja doch, Bruder Simeon.» Marysa ließ dem Dominikaner den Vortritt, folgte ihm dann in die Werkstatt, wo sie Heyn und Leynhard Anweisung gab, die Altarschreine aus dem Lager zu holen.
Während sie warteten, blickte Bruder Simeon sich neugierig in der Werkstatt um. «Ihr fertigt aber eine Menge dieser winzigen Reliquiare an», stellte er fest und wies auf eine große Holzkiste, die beinahe bis zum Rand mit kleinen aufklappbaren Kästchen und Medaillons gefüllt war. Daneben lag ein Bund Lederschnüre.
Marysa ging zu der Kiste und nahm eines der Reliquiare heraus. «Wir bereiten uns schon auf den Ansturm der Pilger zur Einweihung der Chorhalle vor», sagte sie. «Es werden vielleicht nicht so viele kommen wie zur Heiltumsweisung, aber dennoch rechne ich mit einer außerordentlichen Nachfrage nach solchen Medaillons.»
Bruder Simeon nahm ebenfalls eines der Reliquiare in die Hand, betrachtete es eingehend und legte es wieder zurück in die Kiste. «Eine solche Festlichkeit verspricht gedeihliche Zeiten für Euch.» Er lächelte
Weitere Kostenlose Bücher