Der gläserne Schrein (German Edition)
ist?»
Veronika lachte leise. «Er scheint kein Wort darüber verloren zu haben. Das sagt in meinen Augen schon alles.» Kurz drehte sie sich zu Einhard um. «Was meinst du, sollen wir Marysa ein wenig von ihren Sorgen ablenken und sie zum Mittagsmahl zu uns einladen?»
Marysa, die von einer Welle der Erleichterung und – das musste sie zugeben – auch der Erheiterung erfasst wurde, schüttelte dankend den Kopf. «Ich muss nach Hause», sagte sie. «Es warten noch einige Pflichten auf mich. Außerdem bekomme ich in Kürze Besuch von einigen Reliquienhändlern …»
«Wir holen das aber unbedingt bald nach», unterbrach Veronika sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. «Keine Widerrede, Marysa. Der Mensch lebt schließlich nicht vom Geschäft allein.»
Marysa lächelte. «Das weiß ich, Veronika. Nur habe ich momentan so viel um die Ohren.»
«Und einen Hausgast, nicht wahr?», fragte Einhard. Er blickte sich suchend auf dem Kirchenvorplatz um, der sich inzwischen geleert hatte. «Wo steckt Bruder Christophorus überhaupt? Mir war, als habe ich dich in seiner Begleitung in die Kirche gehen sehen.»
Auch Marysa blickte sich kurz um und zuckte dann mit den Schultern. «Keine Ahnung, wo er hingegangen ist. Ich muss nun wirklich langsam nach Hause.» Sie winkte Milo zu sich heran, der als Einziger des Gesindes in ihrer Nähe stand und auf sie wartete, damit sie nicht allein den kurzen Weg bis zum Büchel gehen musste.
«Selbstverständlich ist Bruder Christophorus ebenfalls eingeladen», beeilte sich Veronika zu sagen. «Ich erinnere mich, dass er ein recht angenehmer und geistvoller Gesprächspartner ist.»
«Mag sein.» Marysas Lächeln verflog, denn gerade hatte sie es geschafft, Bruder Christophorus für eine Weile aus ihren Gedanken zu verbannen. «Ich werde ihm eure Einladung ausrichten.»
***
«Ihr habt ihn also geschlagen.»
«Wie bitte?» Marysa zuckte zusammen, als sie Bruder Christophorus’ Stimme vernahm. Er betrat ihre Stube und setzte sich unaufgefordert zu ihr an den Tisch. Heyn und Leynhard hatten heute ihren freien Tag und speisten auswärts, sodass Balbina den Tisch nur für zwei Personen gedeckt hatte.
«Gort Bart. Ich war mir gestern Abend nicht sicher, ob ich das richtig mitbekommen habe, aber Ihr habt offenbar eine deutliche Handschrift. Den Schmiss wird er wohl nicht so schnell vergessen.»
«Das will ich hoffen», knurrte Marysa und widmete sich wieder ihrer Geflügelpastete, die ihre Köchin mit reichlich getrockneten Kräutern verfeinert hatte.
Christophorus musste über ihre verbiesterte Miene lächeln. «Es enthebt Euch zumindest eines Eurer Probleme. Unter diesen Umständen wird er den Teufel tun und erwähnen, gestern auch nur in der Nähe Eures Hauses gewesen zu sein.»
Marysa verschluckte sich beinahe an ihrem Bissen, hustete kurz und blickte Christophorus dann mit großen Augen an. «Ihr gebraucht den Namen des Gottseibeiuns?»
Amüsiert über ihre Empörung schmunzelte Christophorus und nahm sich ebenfalls ein Stück Pastete. «Wenn es sich anbietet», sagte er. «Ich glaube nicht, dass das gleich seine Höllenknechte auf den Plan ruft. Immerhin bin ich – Ihr erinnert Euch – im Besitz eines vollkommenen Ablasses.»
Marysa kräuselte die Lippen. «Diesen Umstand nehmt Ihr als Freibrief zum Fluchen?»
Christophorus lachte. «Ich habe nicht geflucht, Frau Marysa. Obgleich auch ein guter Fluch hier und da durchaus angemessen sein kann.»
Verständnislos schüttelte Marysa den Kopf. «Was seid Ihr nur für ein sonderbarer Mönch, Bruder Christophorus?»
Gar keiner, hätte er in diesem Moment gerne gesagt. Die Worte lagen ihm bereits auf der Zunge, doch er schluckte sie hinunter. Stattdessen zuckte er nur mit den Schultern und schob sich ein Stück Pastete in den Mund.
Den Rest der Mahlzeit schwiegen sie einander an. Marysa musterte Christophorus immer wieder unauffällig und versuchte zu begreifen, was hinter seiner Stirn vorging. Dieser Mann gab ihr einfach zu viele Rätsel auf. Da er nicht gewillt schien, auch nur eines davon aufzuklären, beschloss sie, ihm zukünftig lediglich so viel Beachtung zu schenken, wie unbedingt nötig war. Ganz ignorieren konnte sie ihn freilich nicht. Das wäre nicht nur äußerst unhöflich, sondern im Hinblick auf die Nachforschungen, die sie gemeinsam anstellten, auch unmöglich gewesen. Jeder Vertraulichkeit, die über den Austausch an Informationen hinausging, würde sie von nun an tunlichst aus dem Wege gehen. Vielleicht
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