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Der gläserne Schrein (German Edition)

Der gläserne Schrein (German Edition)

Titel: Der gläserne Schrein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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er sie so wenig vermisste, dennoch konnte er nicht umhin, mehr an Marysa zu denken als an Estella. Die Hartnäckigkeit wiederum, mit der sich Marysa ständig in seine Gedanken und seine Gefühle drängte, machte ihm zunehmend Angst. Er wusste schließlich, dass solche Anwandlungen zu nichts führten. Marysas Welt und seine lagen einfach zu weit auseinander, als dass es jemals möglich sein würde, die Grenzen zwischen ihnen zu überwinden.
    «Heute seht Ihr viel weniger abgeklärt aus als üblich, Bruder Christophorus.» Die Stimme des alten Amalrich ließ Christophorus zusammenfahren. «Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich vermuten, dass Euch ein Herzeleid plagt.» Der alte Pilger ließ sich umständlich neben Christophorus nieder und blickte versonnen zum Dom hinüber. «Ein gottgefälliges Bauwerk, nicht wahr?» Dann sah er Christophorus wieder an. «Warum seid Ihr kein Inquisitor mehr?»
    Christophorus hob nur die Schultern. «Eine Gewissensfrage», antwortete er knapp.
    «Aha.» Amalrich schien dies zu genügen, denn er hakte nicht weiter nach. Stattdessen wechselte er abrupt das Thema. «Die Familien Goldschläger und Markwardt stecken in ziemlichen Schwierigkeiten, nicht wahr? Es scheint schlecht um den Goldschmied zu stehen.»
    «Wir versuchen alles, um seine Unschuld zu beweisen», sagte Christophorus leise.
    «Ihr helft der Familie also – wie einst», stellte Amalrich fest, und es klang, als habe er mit dieser Antwort bereits gerechnet. «Warum macht Ihr das, Bruder Christophorus? Verzeiht meine Neugier, aber ein Mönch, der sich so eifrig um die Belange einer Familie kümmert, die nicht seine eigene ist …»
    «Ich gab Frau Marysas Bruder einst ein Versprechen.» Christophorus richtete seinen Blick in eine unbestimmte Ferne. «Ich gelobte, mich um sie und ihre Familie zu kümmern, und das versuche ich nun, so gut ich kann.»
    «Ah, also noch eine Gewissensfrage.» Verständnisvoll lächelte Amalrich vor sich hin, wurde jedoch sogleich wieder ernst. «Kann es sein, dass Euch der Edelmut, mit dem Ihr Euer Versprechen einzuhalten versucht, ebenfalls in Schwierigkeiten bringen könnte?»
    Argwöhnisch drehte Christophorus dem Alten wieder den Kopf zu. «Wie meint Ihr das?»
    Amalrich schmunzelte. «Nun, abgesehen davon, dass es Euch als Mönch sicherlich nicht leichtfallen dürfte, Euch mit den Launen eines Weibes auseinandersetzen zu müssen …» Hier schwieg er für einen Moment bedeutungsvoll. «… schien es mir kürzlich, als habet Ihr den Unmut von gewissen Personen erregt.»
    Alarmiert hob Christophorus eine Augenbraue. «Was für Personen?»
    Amalrich blickte sich kurz um, doch noch immer war außer Ihnen keine Menschenseele zu sehen. «Ich war mir zunächst auch nicht ganz sicher, aber heute nach der Messe konnte ich mir Gewissheit verschaffen.»
    «Gewissheit worüber?»
    «Ihr wurdet auf dem Weg zum Tanzenden Bären von einem Mann verfolgt.»
    Im ersten Moment war Christophorus irritiert. «Woher wisst Ihr, dass ich …?» Schließlich winkte er ab. Amalrich hatte seine Augen und Ohren einfach überall in der Stadt. «Wer hat mich verfolgt?»
    «Ludwig ist sein Name», antwortete Amalrich. «Er ist einer der Gesellen des ehrenwerten Goldschmieds Ansem Hyldeshagen.»
***
    Als Christophorus gegen Abend zum Büchel zurückkehrte, erfuhr er von Milo, dass Marysa die Nacht im Haus ihrer Mutter zu verbringen gedachte. Kurz erwog er, sie dort aufzusuchen, um ihr von seinem merkwürdigen Verfolger zu berichten, doch dann fand er, dass diese Sache bis zum nächsten Morgen Zeit hatte. Er wurde das Gefühl nicht los, das Marysa ihm aus dem Weg gehen wollte, was ihm in seinem augenblicklichen Gemütszustand nur recht sein konnte.
    Nachdem Milo ihm von dem merkwürdigen Besuch des jungen Kanonikers und Marysas Gang zum Marienstift berichtet hatte, spürte er plötzlich heftigen Zorn in sich aufsteigen. Jedoch nicht auf Hartwig, der sich so dreist in Marysas Angelegenheiten eingemischt hatte, sondern auf sich selbst. Ganz gleich, wie er sich auch anstrengen mochte, ihr zu helfen, schien es doch, als sei er nie zur rechten Zeit zur Stelle, um ihr beizustehen. Sie hatte sich offenbar sehr gut selbst zu helfen gewusst, den gemeinen Schlag, den Hartwig ihr hatte verpassen wollen, noch rechtzeitig abgewehrt. Das war nur ein kleiner Trost. Alle Welt, so schien es ihm, hatte sich gegen ihn verschworen. Oder gegen Marysa.
    Missgelaunt ging er in seine Kammer zurück, wo er sich auf sein Bett fallen ließ

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