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Der gläserne Schrein (German Edition)

Der gläserne Schrein (German Edition)

Titel: Der gläserne Schrein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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und im Schein der Öllampe an die weiß gekalkte Decke starrte. Seine Gedanken wanderten in die Vergangenheit – zu jenem Tag, da sein Freund Aldo mit hohem Fieber und schwindenden Kräften auf seiner Bettstatt gelegen und seinem nahenden Tod entgegengeblickt hatte.
    «Christoph», hatte er ihn mit brüchiger Stimme bei seinem Geburtsnamen genannt und nach seinem Arm gegriffen. «Du musst mir etwas versprechen.»
    «Alles, was du willst», antwortete Christophorus.
    «Wirklich alles?» Ein Lächeln stahl sich auf Aldos Lippen, das zu einem Lachen wurde, welches sich jedoch alsbald in einen keuchenden Husten verwandelte. «Dann will ich dich um zwei Dinge bitten, mein Freund. Geh nach Aachen und berichte meiner Familie von meinem Tod.»
    «Aber du wirst …»
    «Nein, Christoph, ich werde nicht wieder gesund. Sieh mich an! Ich sieche dahin. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, und du kannst mir glauben, dass ich das sehr bedaure.» Wieder lachte er krächzend. «Geh zu meiner Familie und kümmere dich um sie. Meine Stiefmutter und meine Schwester werden ohne mich ganz allein dastehen. Mein Vetter Hartwig wird, sobald er von meinem Ableben erfährt, nichts unversucht lassen, das Geschäft meines Vaters – mein Geschäft – an sich zu reißen. Verhindere es!»
    «Wie?», fragte Christophorus.
    «Kümmere dich um die beiden. Es ist sehr wichtig, hörst du?» Das Sprechen begann Aldo anzustrengen, doch er wehrte den Becher mit Wasser ab, den Christophorus ihm fürsorglich an die Lippen hielt. «Du wirst einen Weg finden, da bin ich ganz sicher. Aber du musst mir versprechen, bei allem, was dir heilig ist, dass du sie nie im Stich lassen wirst. Ich bitte dich, Christoph!»
    Er nickte, als er das Drängen in Aldos Stimme wahrnahm. «Ich verspreche es dir.» Christophorus hielt einen Moment inne. «Was ist die zweite Sache?»
    «Die zweite?» Aldos Augenlider flatterten.
    Christoph tastete nach der Stirn seines Freundes und hatte den Eindruck, dass das Fieber weiter angestiegen war. «Du wolltest mich um zwei Dinge bitten.»
    «O ja, richtig.» Aldo schlug die Augen wieder auf und blickte ihn lange schweigend an. Dann trat in seine Augen ein amüsiertes Glitzern, das Christophorus nur zu gut an seinem Freund kannte. «Werde wieder du selbst, Christoph.»
    Kurze Zeit später war Aldo in einen Dämmerzustand geglitten, aus dem es für ihn kein Zurück mehr gab. Einen Tag später war er tot. Erst nach seiner Beerdigung auf dem Friedhof bei Pamplona hatte Christophorus in den Habseligkeiten seines Freundes drei Briefe gefunden, die dieser irgendwann kurz vor seinem Tod aufgesetzt haben musste. Einer war an ihn – Christophorus – gerichtet, einer an Aldos Stiefmutter Jolánda und der dritte an dessen Schwester Marysa.
    In seinen Abschiedsworten an Christophorus hatte Aldo seiner letzten Bitte erneut Nachdruck verliehen und ihm mitgeteilt, was mit seinen persönlichen Sachen zu geschehen habe.
    Christophorus setzte sich auf und lehnte sich gegen das Kopfende seines Bettes. Die Erinnerung an jene Zeit schmerzte noch immer, wenn auch nicht mehr so grausam wie zu Anfang. Zum wiederholten Mal fragte er sich, ob Aldo mit seiner Bitte wohl etwas ganz Bestimmtes bezweckt haben mochte, denn er war der einzige Mensch, der je hinter Christophorus’ Geheimnis gekommen war. Wie hatte er gelacht und sich die Tränen aus den Augen gewischt, als er es herausgefunden hatte!
    «Christoph», hatte er gesagt, «versprich mir, dieses Schelmenspiel nicht bis ans Ende deiner Tage fortzusetzen. Ein Mann wie du gehört nicht hinter Klostermauern.»
    Doch genau dort hatte sich Christophorus viele Jahre seines Lebens sicher und geborgen gefühlt. Nach dem frühen Tod seiner Eltern war er, gerade sechzehn Jahre alt und Geselle geworden, auf eigenen Wunsch als Novize in einen nahe gelegenen Dominikanerkonvent eingetreten. Seine Beweggründe waren vielfältig gewesen, aber vor allem so schmerzhaft, dass er bis heute nicht gerne darüber nachdachte. Sieben Jahre war er dem Orden treu gewesen. Sieben Jahre, in denen er gebetet, gelernt und gearbeitet hatte. Doch die Weihen, die letzte Hürde zwischen ihm und dem ewigen Bund mit Gott, hatte er nicht empfangen. Vater Achatius, sein Tutor, war darüber nicht glücklich gewesen, hatte ihn jedoch auch nicht gedrängt. Eines Tages, sie befanden sich gerade auf einer Wallfahrt nach Trier, hatte sich Christophorus heimlich davongemacht.
    Beim Gedanken an Vater Achatius lächelte er wehmütig. In den Jahren seit

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