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Der gläserne Schrein (German Edition)

Der gläserne Schrein (German Edition)

Titel: Der gläserne Schrein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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deren Abdrücke er persönlich von den höchsten Stellen erschlichen hatte. Bis auf die päpstlichen Siegel natürlich, diese hatte er einem gewieften Fälscher in Rom für teures Geld abgekauft. Viele Jahre war er umhergezogen. Dabei hatte er die Vorteile, die sein erschwindelter Stand ihm, gemeinsam mit seinen Kenntnissen aus der langen Novizenzeit, verschafft hatte, voll ausgenutzt. Jetzt war er beinahe dreißig Jahre alt, kam also in ein Alter, das ihm für seinen Ablasshandel durchaus noch mehr Vorteile bringen mochte.
    Flüchtig fiel sein Blick auf das Holzkreuz, das er neben seinem Bett abgelegt hatte. Er hatte es einst im Frankfurter Konvent angefertigt – es war der einzige Gegenstand, den er aus jener Zeit noch besaß. Zögernd nahm er es in die Hand und betrachtete es.
    «Werde wieder du selbst», hallte noch immer ein fernes Echo in seinem Kopf wider.
    Mit einem Ruck schwang er seine Beine über die Bettkante, legte das Kreuz auf sein Kopfkissen und verließ die Schlafkammer.

24. KAPITEL
    Mit einem kurzen Gruß in Richtung ihrer beiden Gesellen eilte Marysa durch die Werkstatt. Sie schälte sich aus ihrem Mantel, der vom Schneeregen durchnässt war, und gab ihn Balbina, die ihn sofort beim Herdfeuer aufhängte. «Ist Bruder Christophorus da?», fragte Marysa beiläufig und hoffte, es wäre nicht so.
    Doch Balbina nickte. «Er ist oben in seiner Kammer. Ich glaube, er schreibt neue Ablassbriefe.» Die Köchin erschauerte ehrfürchtig, doch bevor sie weiterreden konnte, hatte Marysa die Küche bereits verlassen. Zielstrebig ging sie in ihr Kontor, weil sie sich nun endlich dem Angebot für Scheiffart und einigen wichtigen Briefen widmen musste. Beim Anblick des Gegenstands auf ihrem Schreibpult blieb sie jedoch wie angewurzelt stehen. Einen langen Moment starrte sie sprachlos darauf, bevor sie sehr langsam näher trat und das geschnitzte Stück Holz vorsichtig in die Hand nahm. Es handelte sich um die Figur eines Mannes, der mit Pilgerstab und Tasche dastand und in die Ferne schaute. Zunächst hatte Marysa das Abbild für eine Heiligenfigur gehalten, doch als sie das Gesicht des Mannes näher betrachtete, hielt sie verblüfft die Luft an. Dieses Lächeln, dieser verschmitzte Ausdruck in den Augen … Es war ihr Bruder Aldo, der sie aus diesem Stück Holz anblickte.
    Rasch, als habe sie sich daran verbrannt, legte Marysa die Figur zurück auf das Pult, jedoch nur, um sie im nächsten Moment wieder aufzuheben. Schweigend starrte sie in das geliebte Gesicht ihres Bruders, das sie schon so lange vermisst hatte. Mit den Fingerspitzen fuhr sie über die samtig glatte Oberfläche und wurde sich nach und nach weiterer Details bewusst. Zum Beispiel hatte der Schnitzer es verstanden, die natürliche Maserung des Holzes so herauszuarbeiten, dass sie dem Faltenwurf der Kleidung folgte und wie ein Muster wirkte. Nicht nur die Gürtelschnalle und die Verschnürung an den Stiefeln der Figur waren zu erkennen, sondern auch das schlichte, nur am Rand mit einigen Ranken verzierte Kruzifix, dass der Mann – ihr Bruder – um den Hals trug. Sie schluckte, als ihr bewusst wurde, wer dieses Kreuz jetzt trug.
    Fest schloss sie ihre Hand um die Figur und rannte damit aus ihrem Kontor ins Obergeschoss hinauf. Vor der Gästekammer blieb sie stehen und atmete mehrmals tief ein, um sich zu beruhigen. Es gelang ihr nicht. Ohne zu klopfen, stieß sie die Tür auf.
    Christophorus stand reglos am Fenster. Nachdenklich blickte er hinaus in den Hof. Er drehte sich nicht um, als Marysa auf ihn zuging und nur wenige Schritte hinter ihm stehen blieb. Noch immer hielt sie die Figur krampfhaft umklammert; gleichzeitig nahm sie aus den Augenwinkeln das Holzkreuz wahr, das auf dem Bett lag. «Ihr habt es geschnitzt, nicht wahr?» Ihre Stimme schwankte leicht, obwohl sie nicht recht wusste, weshalb. «Das Kruzifix habt Ihr geschnitzt.»
    Christophorus drehte sich nicht zu ihr um. «In einem anderen Leben», antwortete er ruhig.
    «Jetzt auch noch diese Figur von Aldo», fuhr sie fort. In ihren Worten schwang ganz deutlich eine Frage mit.
    Endlich drehte sich Christophorus zu ihr um und sah sie mit einem seltsam bedauernden Blick an. «Ich weiß nicht, ob meine begrenzten Fähigkeiten ausreichen, die wertvollen Reliquienschreine für das Marienstift zu verzieren …»
    Marysa starrte ihn verblüfft an. «Eure begrenzten Fähigkeiten?»
    «Falls es in Eurem Sinne wäre, könnte ich Euch für eine Weile aushelfen. Wenigstens bis zur Einweihung

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