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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinald Koch
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erwartet hatte, glitt sie Sekunden später zur Seite, und der Ordonnanzoffizier versuchte gleichzeitig zu salutieren und das Sicherheitsseil in die Hand zu bekommen, ohne dabei die Telegrammfolie zu verlieren.
    »Geben Sie schon her!« brüllte Lubar ihn an. Es bereitete ihm ein diebisches Vergnügen, den Offizier so zu erschrecken, dass er das Seil losließ. Diese Kerle waren heute alle die Schwerelosigkeit nicht mehr gewöhnt. Wenn er an seine Jugend dachte, da hatte es keine Sicherungsseile in Raumschiffen gegeben, und kein Mensch hätte Energie für Schwerkraftmaschinen verschwendet.
    Der gewünschte Erfolg trat auch prompt ein. Er hatte nicht umsonst gebrüllt. Hilflos mit Armen und Beinen rudernd, segelte die Ordonnanz durch die Kabine und prallte mit dem Kopf voran gegen den Tisch vor Lubar. Einen Augenblick konnte er das schmerzverzerrte Gesicht des Mannes sehen, dann drehte der sich und schwebte auf die gegenüberliegende Wand zu.
    »Lassen Sie endlich die Schwimmerei, Leutnant!« schrie Lubar. »Sie werden doch sicherlich anderswo genügend Zeit und Raum für solche Späße finden!«
    Schließlich gelang es dem Leutnant, das Seil mit beiden Beinen zu umklammern. Bleich und verstört überreichte er das Stück Folie und verschwand ohne Gruß durch die offene Tür.
    Hastig schob der Kommandant den Streifen in das Entschlüsselungsgerät und schimpfte dabei über die erbärmlichen Kadetten, die nicht einmal grüßen gelernt hatten.
    Das Ergebnis der Entschlüsselung war für Lubar enttäuschend. Die Maschine hatte nur einzelne Buchstaben übertragen können:
    … MI … FR. N … AN KO .. A … … ‚ZEADMI … LU. -
    AR: ADMIR … . HALIJ. ER … … WE … ÖGLIC … LLE
    WI … IGE. . ILI. Ä .. SCHEN OPE … ..NEN … ..
    MEI … EI..RE … ..IN..EL … – BIETE. S.. DEN
    NE P … SEN V … … … … .. – AD … … ..NZIK
    IM A … … ‚ES OBERSTEN RA. ES F.. I … .. SI-
    ..E.H … -
    »Oh, zornige Embra!« stöhnte der Kommandant beim Anblick des Klartextes. Er schob das unbeschriftete Ende der Folie in seine Schreibmaschine und diktierte: »Vordringlich! Text ergänzen und die wahrscheinlichste Version so bald wie möglich an mich zurück. Lubar-Kommandant.« Er rollte die Folie, bis sie in eine Rohrpostkapsel passte, stellte an der Kapsel die Zahlenkombination des Computerraums ein und ließ sie in die Röhre fallen, wo sie von peristaltisch schwingenden Magnetfeldern davongejagt wurde. Nun würde man einfach abwarten müssen, dachte Lubar.
    Lubar wartete lange, und er wartete vergebens, denn ein winziger Schaltfehler in einer Weiche der Rohrpostanlage hatte die Kapsel in eine falsche Bahn gelenkt. Jeder andere Empfänger im Schiff hätte die Kapsel wieder an den Absender zurückgeschickt – nur dieser eine nicht, denn er war Registraturbeamter und seit vielen Jahren daran gewöhnt, Botschaften zu empfangen, deren Inhalt ihm unverständlich war. So nahm er den Folienstreifen aus der Rohrpostkapsel, bestätigte auf der Kapsel den ordnungsgemäßen Empfang und heftete das Telegramm unter dem Stichwort Verstümmelte Nachrichten‹ ab.
    Indessen wartete Lubar zehn Minuten geduldig auf die Antwort der Computermannschaft und vertrieb sich die Zeit, indem er abwechselnd auf die Hemisphärenkarte und seine Fingernägel starrte. Anschließend wartete Lubar noch einmal fünf Minuten in ständig wachsender Ungeduld und vertrieb sich die Zeit, indem er abwechselnd mit der linken oder mit der rechten Hand an den Gliedern seiner Finger zerrte, bis er das leise Knacken der Gelenke hörte, oder bis er den Finger in Frieden lassen musste, weil er nun mal nicht knacken wollte. Nachdem auf diese Weise eine Viertelstunde vergangen war, hieb er mit der Faust auf den Schaltknopf des Interkoms und brüllte mit solcher Lautstärke durch sämtliche Abteilungen des Schiffes, dass an einigen Stellen die Seismometer ansprachen und die Sicherheitsschotts verriegelten: »Schlaft ihr im Computerraum? – Wann kriege ich endlich meine Antwort?«
    Da man im Computerraum selbstverständlich nicht schlief, sondern in großer Eile an verschiedenen schwierigen Aufgaben gleichzeitig arbeitete und niemand alle Probleme kannte, mit denen der Computer gerade beschäftigt war, gab man dem Kommandanten routinemäßig zur Antwort, das Problem sei schwierig und der Computer überlastet. Man werde aber dem Kommandanten so bald als möglich die Antwort zustellen.
    Der wachhabende Funkoffizier hatte dieses Interkomgespräch notgedrungen

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