Der gläserne Wald
Minuten nach dem Erwachen ahnte er, dass die Macht, die ihm die Willkür eines alten Mannes zugespielt hatte, nichts anderes war als eine Mordwaffe, die der flüchtige Verbrecher einem Unbeteiligten in den Schoß wirft, um die Verfolger und den Verdacht von sich abzulenken.
Aus den Winkeln des Raumes schlich die Einsamkeit auf Franzik zu, und ihn fror. Er beschloss, einen offenen Ausbruchsversuch zu unternehmen. Dann musste es sich zeigen, wie groß sein Handlungsspielraum wirklich war. Er schaltete das Interkom ein und verlangte eine Verbindung zur Raumfunkstation.
»Können Sie ein Telegramm zur Flotte nach Ne Par durchbringen?« fragte Franzik den Funkoffizier.
»Vielleicht – über den Relaissatelliten Kir 18, aber unsere Position zu Ne Par ist sehr ungünstig, wir kommen nur schwach und wahrscheinlich verstümmelt durch.«
»Trotzdem«, sagte Franzik. »Wir werden es versuchen. Ich schicke Ihnen das verschlüsselte Telegramm über Memorsystem.«
Er unterbrach die Verbindung und zog die Schreibmaschine heran, um das Telegramm zu diktieren.
ADMIRAL FRANZIK AN KOMMANDANT VIZEADMIRAL LUBAR: ADMIRAL MOHALJA ERMORDET. WENN MÖGLICH, ALLE WICHTIGEN MILITÄRISCHEN OPERATIONEN BIS ZU MEINEM EINTREFFEN EINSTELLEN. BIETEN SIE DEN NEPARESEN VERHANDLUNGEN AN. ADMIRAL FRANZIK IM AUFTRAG DES OBERSTEN RATES FÜR INNERE SICHERHEIT.
Franzik nahm den beschriebenen Streifen aus der Maschine und schob ihn in die Eingabeöffnung des Memorsystems.
»Verschlüsselt an die Raumfunkzentrale!« befahl er, nachdem er sich identifiziert hatte.
Er war sich völlig darüber im Klaren, dass dieser erste Schritt unter ungünstigen Umständen keinerlei Nutzen bringen mochte, aber er glaubte es sich selbst schuldig zu sein, dem Wahnsinn einer militärischen Operation auf Ne Par entgegenzutreten.
Bevor er sein Büro verließ, bestellte er sich einen Antigravgleiter auf das Dach des Gebäudes.
Der Pilot startete und flog in gerader Linie auf die Flugschleuse nach Wrakin zu. Die in der Kuppel von Melars eingefangene Luft heulte um die dünne Verkleidung des Gleiters, der aus dem Stand auf die in den Kuppeln erlaubte Höchstgeschwindigkeit beschleunigt wurde.
Kaum waren sie in die Schleuse eingeflogen, verstummte das Heulen. Danach flogen sie über die luftleere, öde Kraterlandschaft, die im roten Licht Embras wie glosende Schlacke unter ihnen lag.
Der Pilot behielt den Kurs auf die Stadt Wrakin bei, bis die riesige Blase der Kuppel von Melars hinter dem Gleiter am Horizont versank. Dann änderte er die Richtung und flog in einem weiten Bogen, bis er am Positionsgeber ablesen konnte, dass er die Flugroute zwischen Melars und Wankor kreuzte. Er änderte erneut die Richtung und flog auf den Raumhafen zu.
Der Raumhafen von Melars stammte aus der Zeit der großen Union, als der Mond Adapor noch nichts anderes war als ein riesiges Bergbaurevier. Er bedeckte ein Gebiet von knapp acht Quadratkilometern, eine einzige schmutzig rote Betonfläche, nur unterbrochen von Lagerbunkern und den technischen Anlagen zur Wartung der Raumschiffe. Vor achthundert Jahren waren hier täglich Hunderte von Erzfrachtern und Versorgungsschiffen gestartet und gelandet.
Wo waren die gewaltigen Flotten der Planetenunion geblieben? Kein Mensch auf Adapor hatte diese Frage je beantworten können. Eines Tages vor 793 Jahren waren keine Schiffe mehr gelandet. Man wunderte sich zwar, aber man dachte, dass es nur eine kurzfristige Störung im interstellaren Frachtverkehr sein mochte. Noch Wochen hindurch verlief das Leben auf dem Raumhafen fast normal. Die vielen Schiffe, die in den Docks lagen, wurden beladen und abgefertigt. Wie immer musste der Treibstoff durch die mannsdicken Leitungen gepumpt werden, dann aber meldeten die Lagermeister, dass ihre Bunker voll seien, und bald waren auch die letzten Fernraumschiffe gestartet; nur noch die wenigen kleinen Einheiten der Raumpolizei lagen im Hafen. Am Rand des Flugfeldes begannen sich die ersten Erzhalden zu bilden, denn noch immer konnten sich die Minengesellschaften nicht entschließen, Feierschichten einzulegen. Sie kannten den galaktischen Markt genau und wussten, dass auf die Zeit geringer Nachfrage eine Periode größerer Nachfrage folgen musste. Jeder Mensch auf Adapor hatte Arbeit, Geld und Essen.
Dann trafen die ersten Katastrophenmeldungen ein. Patrouillenboote der Raumpolizei berichteten, dass auch Ne Par, das seinerzeit noch New Paris genannt wurde, seit Monaten nicht mehr von Schiffen der
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