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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinald Koch
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– Er mustert mich missbilligend und murmelt etwas von Heuchelei. Doch ich halte es für klüger, nichts darauf zu erwidern, denn ich bin auf ihn angewiesen. Metaphysische Fragen sind immer etwas heikel für einen Priester, besonders, wenn er wie ich schon lange nicht mehr an die Dogmen glaubt.
    Der Trubel im Raum wird immer ärger. Die betrunkenen Offiziere erinnern mich in ihrem Betragen peinlich an einen lagernden Sammlertrupp. Audi Altar schaut angewidert zu dem großen Tisch hinüber. Endlich ergreift er seinen Helm und deutet auf die Tür. Unbewusst fasse ich an meinen Gürtel, wo ich die kleine Peitsche hängen habe, erleichtert spüre ich den Griff in der Hand. Da – plötzlich fällt es wie Schuppen von meinen Augen! Ich sehe wieder die Beere, ich sehe den armen Elko, erinnere mich an alles, was ich angerichtet habe.
    Altar hat wohl die jähe Veränderung meines Gesichtsausdrucks bemerkt, und da er nicht hofft, mir durch Zureden helfen zu können, zerrt er mich einfach hinter sich her wie ein unartiges Kind. Manchmal versuche ich, mich seinem festen Griff um mein Handgelenk zu entziehen, aber er ist stark, und so stolpere ich willenlos durch verlassene Prunksäle, über breite mit Teppichen belegte Treppen. Immer wieder kommen wir an Gruppen von Sklaven und Dienern vorbei, die irgendwelche Dinge zusammenpacken und hastig fortschleppen.
    Die fürstliche Garde scheint von der ganzen Unruhe nicht betroffen zu sein. Rechts und links jeder Tür, die wir passieren, steht ein Soldat, breitbeinig und mit unbewegter Miene. Der Gleichmut dieser Leute beruhigt auch mich ein wenig.
    Während uns die Wachen bisher keines Blickes gewürdigt haben, werden wir vor einer großen Flügeltür aufgehalten. Die beiden Posten kreuzen ihre Speere, und ein Opthio, der abseits gesessen hat, tritt auf uns zu und grüßt.
    Mein Begleiter erwidert den Gruß und erklärt dem Mann, ich sei der Nägar-Priester, den der Fürst heute Abend noch zu sehen wünsche.
    Der Opthio ist informiert, denn er gibt den Posten sofort ein Zeichen, uns durchzulassen. Dann öffnet er einen Türflügel spaltweit und flüstert einem Soldaten, der auf der anderen Seite der Tür Wache hält zu: »Der Nägar-Priester in Begleitung des Zenturionen Altar tha Barga!«
    »Sollen eintreten!« antwortet es von drinnen.
    Der Soldat öffnet den Türflügel ganz, und wir betreten den dahinter liegenden Saal. Auch hier herrscht im Wesentlichen die gleiche Unruhe wie überall: packende und schleppende Ordonnanzen, eine sehr große, auf den Boden gebreitete Karte, auf der mehrere silberne und goldene Klötzchen liegen; daneben Berge von Waffen aller Art.
    Nur eine Ecke des Saals ist in der allgemeinen Hast und Unordnung ausgespart. Hier sitzt an einem zierlichen Schreibtisch ein Mann. Es ist zweifellos der Fürst. Dicht hinter ihm steht abwartend ein Offizier und mustert uns gelangweilt.
    Der Fürst beachtet unseren Eintritt nicht, denn er schreibt, ohne aufzublicken. Mit einer knappen Handbewegung bedeutet uns der Offizier, an der Tür zu warten, bis der Fürst für uns Zeit habe.
    Doch da blickt Ämar von Zaina auf und sieht uns an der Tür warten. Altar tha Barga salutiert, während ich mich aufs linke Knie niederlasse und den Kopf neige, wie es das Gesetz für niedere Priester vorschreibt.
    »Sei gegrüßt, Zenturio, und auch du, Tolt! Erhebe dich!« sagt der Fürst. Er betrachtet mich eindringlich, und in seinem Blick liegt soviel Wohlwollen, dass mich alle Furcht verlässt; obgleich ich nicht begreife, womit ich die fürstliche Gunst verdient habe.
    »Ich bin betrübt, Tolt, dass es so unglückliche Umstände sind, die dich wieder vor mich gebracht haben. Du hast schwer gefehlt und, wenn ich mich recht erinnere, könntest du von einem Gericht deiner Kaste sogar zum Tode verurteilt werden. Weißt du das?«
    Ich nicke und sinke in meiner Fassungslosigkeit wieder auf die Knie. Ein trockenes Schluchzen erschüttert meinen Körper, womit ich sicher gegen die guten Sitten bei Hof verstoße.
    Wohl auf ein Zeichen des Fürsten hin zieht midi tha Barga wieder in die Höhe, aber ich traue mich nicht, den Fürsten anzusehen.
    »Ich verstehe deinen Schmerz, Tolt«, sagt der Fürst, »ich hoffe nämlich, dass es Schmerz ist, der dich bewegt und nicht die Furcht vor Strafe!«
    Der Fürst hält inne, und ich glaube, seinen prüfenden Blick körperlich zu spüren. Nach einem schier endlosen Schweigen sagt er unvermittelt: »Du bist frei, Tolt! Wenn du gehen willst, musst du bis

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